Umsturz in der Ukraine:Timoschenkos letzte Chance

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Die freigelassene Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko hielt auf dem Maidan eine emotionale Rede. (Foto: action press)

Julia Timoschenko könnte Präsidentin der Ukraine werden. Nach ihrer emotionalen Rede auf dem Maidan keimt die Hoffnung: Kann sie die Regierungsgegner einen? Doch die ehemalige Regierungschefin ist in der Ukraine nicht unumstritten.

Von Hannah Beitzer

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton lobt öffentlich ihre Freilassung, Kanzlerin Angela Merkel spricht mit ihr am Telefon: Viele ausländische Politiker sehen offenbar seit diesem Samstag Julia Timoschenko wieder als offizielle Oppositionsführerin - auch wenn sie dabei nicht durchgehend euphorisch klingen. So habe die Bundeskanzlerin die 53-Jährige aufgefordert, sich um den Zusammenhalt der Ukraine zu bemühen, heißt es aus Regierungskreisen. Timoschenko solle dabei auch auf die Menschen im pro-russischen Osten des Landes zugehen. Und sogar russische Parlamentsabgeordnete wünschen sich von ihr eine Beruhigung der Lage.

Im ukrainischen Parlament haben Timoschenko-Vertraute in den vergangenen Tagen die Macht übernommen, Timoschenko selbst hat unbestätigten Berichten zufolge ihre Kandidatur um das Amt des Präsidenten angekündigt. Vor allem aber bewies die ehemalige Regierungschefin gutes politisches Gespür, als sie sich kurz nach ihrer Freilassung an die Protestbewegung auf dem Maidan wendete. Timoschenko wirkte müde, die Politikerin saß im Rollstuhl, ihre Stimme brach mehrmals, als sie zu den Zehntausenden sprach, die immer noch auf dem Maidan ausharrten.

Doch zu sich selbst - der mehrjährigen Haft, ihrer schweren Rückenkrankheit, ihrer erbitterten Fehde mit Präsident Janukowitsch - kam kein Wort. Stattdessen rief sie: "Ihr seid die Helden", gedachte der Toten der vergangenen Tage und forderte die Regierungsgegner auf: ""Kämpft bis zum Ende. Wenn euch irgendjemand sagt, ihr sollt nach Hause gehen, traut ihm nicht, geht bis zum letzten Schritt."

Kann Timoschenko die Opposition einen?

Sie werde die Garantin dafür sein, dass niemand Hinterzimmerabsprachen treffe, sagte sie in der Rede, die live im Fernsehen übertragen wurde. Das sind starke Worte. Timoschenko - das wird überdeutlich - hat den anderen Oppositionspolitikern einiges voraus. Sie ist eloquenter als Vitali Klitschko, charismatischer als ihr Parteifreund Arseni Jazenjuk. Ein echter Politikprofi.

Doch ob die 53-Jährige die ersehnte Führungsfigur ist, die die heterogene Protestbewegung einen kann, ist fraglich. Timoschenko blickt auf eine recht wechselvolle politische Laufbahn zurück. Bereits während der friedlichen Orangenen Revolution von 2004 stieg sie gemeinsam mit dem späteren Präsidenten Viktor Juschtschenko zum Gesicht der damaligen Protestbewegung auf, die dem damals frisch zum Präsidenten gekürten Viktor Janukowitsch Wahlfälschung vorwarf. Auch damals schien ein echter gesellschaftlicher Wandel, eine Annäherung an die EU und die Emanzipation von Russland, zum Greifen nah, die Janukowitsch-Gegner erreichten Neuwahlen, Juschtschenko wurde Präsident, Timoschenko Regierungschefin.

Aber mit der sanften Revolution wurde es nichts. Juschtschenko und Timoschenko zerstritten sich schon kurze Zeit später, Timoschenko wechselte in die Opposition. Es folgten ein jahrelanges innenpolitisches Gezerre zwischen den einstigen Verbündeten der Orangenen Revolution und Janukowitsch, wechselnde Bündnisse und immer neue Streitigkeiten. Ende 2007 wurde Timoschenko abermals Regierungschefin und trat im Präsidentschaftswahlkampf von 2010 gegen Janukowitsch an.

Die pro-westliche Kandidatin verlor, kurz darauf wurde Timoschenko verhaftet und wegen eines umstrittenen Gasabkommens, das sie als Regierungschefin mit Russland geschlossen hatte, verurteilt. Von ihrem früheren Heldenstatus war da bereits nicht mehr viel übrig, viele einstige Anhänger waren enttäuscht vom politischen Stillstand im Land. Auch die Tatsache, dass sie es bereits in den 90er Jahren als Chefin des größten ukrainischen Erdgasunternehmens zu einigem Wohlstand gebracht hatte, trug zu dem Eindruck bei, dass Timoschenko Teil jener abgehobenen politischen und wirtschaftlichen Elite sei, die immer mehr Ukrainer grundsätzlich ablehnten.

Ukrainer misstrauen Politikern

In den folgenden Jahren wurde die einstige Oppositionsführerin, die wegen eines schweren Rückenleidens große Teile ihrer Haftzeit im Krankenhaus verbrachte, vor allem im Ausland zu einem Symbol für die politische Willkür des Systems Janukowitsch. Spezialisten der Berliner Charité reisten zur Behandlung dorthin, immer wieder warben westliche Politiker für eine Freilassung der kranken Politikerin. Eine Ausreise der Politikerin nach Deutschland scheiterte jedoch am ukrainischen Parlament. Der Westen kritisierte die Verurteilung Timoschenkos als politisch motiviert, die Politikerin selbst trat in den Hungerstreik.

Die Europäische Union machte 2013 schließlich die Freilassung der schwer kranken Oppositionsführerin zu einer Bedingung für die Unterzeichnung eines jahrelang vorbereiteten Assoziierungsabkommens. Doch das ukrainische Parlament lehnte ein entsprechendes Gesetz ab. Janukowitsch suchte die Annäherung an Russland anstelle der EU, das Abkommen platzte. Der Rest ist Geschichte: Pro-westliche Kräfte im Land gingen auf die Straße, bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten verloren zahlreiche Menschen ihr Leben. Janukowitsch musste gehen.

Nun ist die Frage: Bekommt Timoschenko noch eine letzte Chance? Auf dem Maidan empfingen sie die Menschen mit lauten "Julia, Julia"-Rufen. Doch auch laute Buh-Rufe waren zu hören. Schließlich entstand die Protestbewegung nicht zuletzt aus der Wut auf die alte politische Klasse. Eine Klasse, zu der Timoschenko für viele immer noch gehört.

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