Und die Prinzipien der Demokratie, die nun zweifelsohne einen Rückschlag erlitten haben? Ägyptens staatliche Institutionen, seine politische Kultur sind nach 60 Jahren Militärdiktatur bis heute verkrüppelt. Die Ägypter haben 2011 zwar den Alleinherrscher Hosni Mubarak vom Thron gestoßen. Aber auch dabei hatte die mit dem greisen Diktator unzufriedene Armee geholfen. Die Tahrir-Revolution, befeuert von politischem Widerspruchsgeist ebenso wie von nacktem sozialen Elend, blieb unvollendet, der Mubarak-Rumpfstaat unbeschadet. Armee, Justiz, Bürokratie und Polizei haben Mursi nie anerkannt, alte Seilschaften boykottierten seine Herrschaft. Mursi regierte zudem gegen eine Opposition, die den Protest auf der Straße dem Gespräch vorzog.
Entsprechend problematisch verlief daher der Beginn der "ägyptischen Demokratie". Der Kardinalfehler dabei war nicht, dass die Islamisten an die Macht gekommen sind - sie wurden gewählt. Nein, der Präsident und seine Muslimbrüder sind trotz unbestreitbarer Hindernisse zuallererst an sich selbst gescheitert. Als Vertreter eines politisch-religiösen Geheimbundes, die sich als Elite sehen, haben sie gierig nach den Fleischtöpfen geschielt, gezielt Ausgrenzung betrieben, eine heterogene Gesellschaft gespalten. Sie sind trotz ihrer Bekenntnisse keine Demokraten. Die Muslimbrüder betrachten Wahlen nur als Vehikel, um die von ihnen erträumte Staatsform zu erreichen. Und die heißt nicht pluralistische Demokratie. Den ägyptischen Islamisten geht es um ein Staatswesen, in dem eine theologisch fragwürdige Doktrin einer Minderheit die Vorgabe für alle ist; in der das bürgerliche Recht weniger zählt als das angeblich detailliert vorliegende Gesetz Gottes; in der andersdenkende Muslime, Frauen, Christen und Weltliche nur Bürger zweiter Klasse sind. Nicht nur wegen der Wirtschaftskrise, sondern vor allem auch deshalb haben die Ägypter ihr Misstrauensvotum gegen den gewählten Staatschef auf der Straße abgegeben - und auf die Armee gewartet.
Der Kairoer Putsch ist kein Allheilmittel, sondern bestenfalls eine Atempause. Parlamentarische Kultur entsteht nicht von heute auf morgen, die Strukturprobleme der Wirtschaft bleiben, die Armut wächst, den Generalen ist nie zu trauen. Die siegestrunkene Opposition sollte versuchen, Gemeinsamkeit mit den gescheiterten Islamisten zu finden. Nur wenn die Institutionen der Demokratie endlich mit Leben gefüllt werden, kann Ägypten bestehen- gegen neue Unruhen und den Machthunger der Offiziere.