Umsturz in Ägypten:Warum der Militärputsch notwendig war

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Was aussieht wie ein Putsch und ausgeführt wird wie ein Putsch, ist auch ein Putsch. Ägyptens Militärchef al-Sisi hat den demokratisch gewählten Präsidenten Mursi entmachtet, die Verfassung außer Kraft gesetzt und wie ein Autokrat den Fahrplan diktiert. Trotz alledem gibt es eine Rechtfertigung für den Umsturz des Militärs.

Ein Kommentar von Tomas Avenarius, Kairo

Die Lehrbücher der Politikwissenschaft müssen wohl überarbeitet werden. Es geht um die Kapitel Revolution, Demokratie und freie Wahlen. Ein Militärputsch gegen einen demokratisch gewählten Präsidenten, von den Generalen Hand in Hand verkündet mit der Opposition, welche die Mehrheit der Bürger hinter sich weiß - das haben die Theoretiker so nie vorgesehen; Jubel und Feuerwerk für die Soldaten auf ihren Panzern auch nicht. Die Sorglosigkeit der Ägypter beim Sturz ihres ersten frei gewählten Staatschefs ist erschreckend. Demokratie in Ägypten - das ist 2013 immer noch eine Sache des Ausprobierens. Ob es gut oder schlecht endet, wird sich zeigen.

Die Rhetorik von der unverbrüchlichen Einheit des Volkes und der Armee ist nur Blendwerk. Was aussieht wie ein Putsch und ausgeführt wird wie ein Putsch, ist auch ein Putsch. Militärchef Abdel Fattah al-Sisi hat den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi entmachtet, die Verfassung außer Kraft gesetzt, er lässt die Führer der Fundamentalisten inhaftieren. Wie ein Autokrat hat Sisi den Fahrplan diktiert, der dem Land Stabilität bringen sollen. Der General hat zwar Wahlen versprochen. Aber bis dahin ist der Weg noch weit.

Opposition als Komplize

Jubel in Kairo: Ägypter feiern den Umsturz des Militärs und die Soldaten selbst. (Foto: Mahamoud Khaled/AFP)

Allein die Inszenierung ist es, die diesen Coup unterscheidet von anderen Machtergreifungen durch Offiziere. Als Sisi das Ende der Mursi-Herrschaft verfügte, saßen Oppositionspolitiker, Jugendaktivisten und islamische und christliche Geistliche neben ihm. Sie wirkten wie Schulbuben. Der Kairoer Putschist hat die Opposition zu Komplizen gemacht.

Gibt es trotz alledem eine Rechtfertigung für den Umsturz des Militärs? Ja. Ägypten steht am Rand des Zusammenbruchs. Wirtschaftlich liegt das Land am Boden. Politisch war der Kampf zwischen Regime und Opposition hoffnungslos festgefahren, der zur Routine gewordene Straßenkampf wurde schon mit Gewehren betrieben. Eine Einigung zwischen den im Präsidentenpalast eingeigelten Islamisten und der Opposition, die das Volk auf die Straße treibt, war nicht mehr zu erwarten. Die Armee als einzig noch funktionierende Institution des Landes hatte kaum eine andere Wahl als einzugreifen.

Und die Prinzipien der Demokratie, die nun zweifelsohne einen Rückschlag erlitten haben? Ägyptens staatliche Institutionen, seine politische Kultur sind nach 60 Jahren Militärdiktatur bis heute verkrüppelt. Die Ägypter haben 2011 zwar den Alleinherrscher Hosni Mubarak vom Thron gestoßen. Aber auch dabei hatte die mit dem greisen Diktator unzufriedene Armee geholfen. Die Tahrir-Revolution, befeuert von politischem Widerspruchsgeist ebenso wie von nacktem sozialen Elend, blieb unvollendet, der Mubarak-Rumpfstaat unbeschadet. Armee, Justiz, Bürokratie und Polizei haben Mursi nie anerkannt, alte Seilschaften boykottierten seine Herrschaft. Mursi regierte zudem gegen eine Opposition, die den Protest auf der Straße dem Gespräch vorzog.

Entsprechend problematisch verlief daher der Beginn der "ägyptischen Demokratie". Der Kardinalfehler dabei war nicht, dass die Islamisten an die Macht gekommen sind - sie wurden gewählt. Nein, der Präsident und seine Muslimbrüder sind trotz unbestreitbarer Hindernisse zuallererst an sich selbst gescheitert. Als Vertreter eines politisch-religiösen Geheimbundes, die sich als Elite sehen, haben sie gierig nach den Fleischtöpfen geschielt, gezielt Ausgrenzung betrieben, eine heterogene Gesellschaft gespalten. Sie sind trotz ihrer Bekenntnisse keine Demokraten. Die Muslimbrüder betrachten Wahlen nur als Vehikel, um die von ihnen erträumte Staatsform zu erreichen. Und die heißt nicht pluralistische Demokratie. Den ägyptischen Islamisten geht es um ein Staatswesen, in dem eine theologisch fragwürdige Doktrin einer Minderheit die Vorgabe für alle ist; in der das bürgerliche Recht weniger zählt als das angeblich detailliert vorliegende Gesetz Gottes; in der andersdenkende Muslime, Frauen, Christen und Weltliche nur Bürger zweiter Klasse sind. Nicht nur wegen der Wirtschaftskrise, sondern vor allem auch deshalb haben die Ägypter ihr Misstrauensvotum gegen den gewählten Staatschef auf der Straße abgegeben - und auf die Armee gewartet.

Der Kairoer Putsch ist kein Allheilmittel, sondern bestenfalls eine Atempause. Parlamentarische Kultur entsteht nicht von heute auf morgen, die Strukturprobleme der Wirtschaft bleiben, die Armut wächst, den Generalen ist nie zu trauen. Die siegestrunkene Opposition sollte versuchen, Gemeinsamkeit mit den gescheiterten Islamisten zu finden. Nur wenn die Institutionen der Demokratie endlich mit Leben gefüllt werden, kann Ägypten bestehen- gegen neue Unruhen und den Machthunger der Offiziere.

© SZ vom 05.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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