Umstrittene Ehrung:Toleranz-Preis für Erdogan provoziert wütende Proteste

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Die Alevitische Gemeinde Deutschland empfindet die Verleihung des Steiger-Awards an den türkischen Premier Erdogan als "Schlag ins Gesicht aller Minderheiten in der Türkei". 20.000 Demonstranten werden zur Protestaktion in Bochum erwartet. Auch aus den Reihen der Politik äußert sich Empörung.

Roland Preuß

Es war ein warmer Empfang für Tayyip Erdogan in Köln. "Die Türkei ist stolz auf dich", schallte es vor vier Jahren aus den Reihen von gut 15.000 Deutsch-Türken. "Überall, wo wir hinkommen, gibt es nur Liebe und Freundschaft", säuselte der türkische Premier in der Köln-Arena zurück. An diesem Samstag will Erdogan 60 Kilometer weiter nördlich auftreten, in Bochum - und dort wird seine Liebe nicht so sehr erwidert.

Die Alevitische Gemeinde Deutschland hat zur Großdemonstration aufgerufen, sie erwartet 20.000 Protestierer, die Polizei hat Hilfe aus anderen Städten angefordert. Erdogans Auftritt sei "ein Schlag ins Gesicht aller Minderheiten in der Türkei", sagen sie - und nicht nur sie. Am Freitag rollte eine Protestwelle an von der Linken bis zu CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt.

Der türkische Premier soll in der Bochumer Jahrhunderthalle den Steiger Award 2012 zum Thema Europa erhalten. Eigentlich ist dies keine herausragende Auszeichnung, sie wird vom Medienunternehmer Sascha Hellen organisiert, doch die weiteren Preisträger wie Ex-Bundespräsident Horst Köhler verleihen ihm Aufmerksamkeit - und Erdogans Laudator, Altbundeskanzler Gerhard Schröder.

Der Preis ist nach dem Steiger benannt, der nach Bergbautradition für Geradlinigkeit, Menschlichkeit und Toleranz steht. Und genau dies entfacht die Wut vieler Migranten. Sie machen Erdogan für Verfolgung und Vertreibung in der Türkei verantwortlich, einige von ihnen waren deshalb nach Deutschland geflohen. Aleviten, Armenier und andere seien "täglich staatlich organisierter Intoleranz und Unmenschlichkeit ausgesetzt", sagt der Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde, Ali Dogan. Erdogan leugne den Völkermord an den Armeniern und verweigere Christen elementare Rechte, fügt der Zentralrat der Armenier in Deutschland hinzu.

Fanal für den staatlich geduldeten Hass auf Aleviten

Besonders erzürnt die Aleviten eine Gerichtsentscheidung von dieser Woche. Das Strafgericht in Ankara stellte ein Verfahren gegen mutmaßliche Täter eines Massakers 1993 in der Stadt Sivas ein - nach 19 Jahren. Der Fall sei verjährt, hieß es. Damals verbrannten 35 Menschen, unter ihnen alevitische Künstler und Intellektuelle, als ein wütender Mob ihr Hotel anzündete. Der Fall gilt als Fanal für staatlich geduldeten Hass auf die Aleviten.

Der muslimisch-konservative Erdogan hat durchaus Minderheiten in der Türkei umworben. In seiner Amtszeit wurde kurdischsprachiges Fernsehen eingeführt, religiöse Minderheiten wie etwa orthodoxe Christen haben mehr Rechtssicherheit und dürfen wieder Kirchen besitzen. Dogan hält dies alles für Fassade. "Wir sehen sogar eine Verschlechterung, das ist eine andere Art der Assimilation." Die hatte Erdogan in Köln als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" gegeißelt. Da hatte er aber seine türkischen Landsleute in Deutschland gemeint.

© SZ vom 17.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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