Noch ist der Winter nicht vorüber in Kiew, bis zum Frühling kann es noch dauern. Danach kommt der lange Sommer, dann erst der Herbst, bis schließlich der Winter naht, der Dezember. So lange könnte Viktor Janukowitsch im Amt bleiben. Diese Zeitspanne muss man spüren, wirken lassen, um das Hohngelächter auf dem Maidan zu verstehen, das lange Zieren der Opposition, das Misstrauen, einem Abkommen mit dem Staatschef zuzustimmen. Ein paar Monate später würden ohnehin Präsidentwahlen stattfinden. Fast ein Jahr also noch für einen Mann, den die Hälfte des Landes wahlweise als "Banditen", "Verbrecher", zumindest als korrupt empfindet. Wenn es nun auch endlich Hoffnung gibt auf ein Ende der Gewalt - der Frieden vom Freitag ist zerbrechlich.
Fast hundert Tote in den vergangenen Wochen, diese Blutspur wird sich für immer durch Janukowitschs Amtszeit ziehen. Und sie rechtfertigt, dass für Vertrauen kein Platz bleibt. Und doch: Weil das Morden dringend beendet werden muss, weil Armee und Geheimdienstler nicht in Scharen desertiert sind, und weil Moskau ihn nicht opfert, führt an Janukowitsch zunächst kein Weg vorbei. Das nennt man wohl einen schmerzhaften Kompromiss.
Europäische Union - mehr als nur Mahnerin
Für die europäische Verhandlungstroika ist das Kiewer Abkommen ein großer Erfolg. Ohne das frisch geschnürte Sanktionspaket als Antwort auf das weltweite Entsetzen wäre es zu der Einigung vermutlich nicht gekommen. Der Führung um Janukowitsch hat es erstmals konkrete Konsequenzen aufgezeigt; und der Opposition, dass die EU doch zu mehr bereit ist, als zu mahnen, zu warnen und den ukrainischen Demokraten ihre Unterstützung zu versichern.
Trotz der ersten Erleichterung aber stehen der Ukraine schwierige Fragen und schwere Zeiten bevor. Wer muss sich verantworten für die entflammte Gewalt, für all die Toten, die Heckenschützen auf den Dächern, die Molotowcocktails der radikalen Regierungsgegner? Und: Wohin driftet nun dieses scheinbar zerrissene Land, nachdem die Gewalt es beinahe in den Bürgerkrieg getrieben hat?
Russland, Europa, ihr Zerren von beiden Seiten ist der Ukraine schlecht bekommen. Zollunion oder Assoziierungsabkommen - an dieser technisch klingenden Frage ist in den vergangenen Monaten die neue Nahstelle, oder sollte man sagen: Bruchstelle, zwischen Ost und West sichtbar geworden. Dazu darf es nicht noch einmal kommen.
Auch wenn es stimmt, dass der Westen des Landes am liebsten in die EU stürmen will und der Osten und der Süden russisch geprägt sind: Eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist ohnehin für Brüssel keine naheliegende Option, und den meisten Menschen im Osten dürfte eine korruptionsfreie ukrainische Regierung, die sie frei wählen können, wichtiger sein, als Teil einer russischen Provinz zu werden. Es gibt durchaus die Chance, dass eine Übergangsregierung die Spaltung verhindern kann. Aber, darüber kann das Abkommen nicht hinwegtäuschen, sie kann auch leicht scheitern.