Die Lage auf der südukrainischen Halbinsel Krim wird immer unübersichtlicher: Am frühen Freitagmorgen haben Unbekannte versucht, einen Regionalflughafen zu überfallen. In Washington machen sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und sein amerikanischer Amtskollege John Kerry Gedanken über die wirtschaftliche Zukunft des Landes - und versprechen Hilfe. Der ukrainische Ex-Präsident Viktor Janukowitsch ist hingegen offenbar in Russland und will von dort aus am Nachmittag eine Pressekonferenz geben. Er hatte sich zuvor hilfesuchend an Russland gewandt - mit Erfolg.
Ukraine:Wer nun wichtig wird
Kaum ist Präsident Janukowitsch abgesetzt, beginnt in der Ukraine der Kampf um Macht und Einfluss. Es geht darum, wer das Land künftig regiert. Neben den Polit-Stars Timoschenko und Klitschko haben auch ein Schoko-Milliardär und zwei Nationalisten große Ambitionen.
Flughafen besetzt: Eine Gruppe von etwa 50 Bewaffneten hat am frühen Freitagmorgen den Flughafen der Stadt Simferopol auf der Krim kurzzeitig besetzt. Wie der Sender Russia Today unter Berufung auf den Pressedienst des Flughafens im Kurznachrichtendienst Twitter berichtete, verließen die Eindringlinge das Gelände wieder, nachdem sie keine ukrainischen Soldaten angetroffen hätten, sie hätten sich sogar entschuldigt. Der Betrieb des Flughafens sei nicht beeinträchtigt worden. Die Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine hatte geschrieben, die Männer hätten Militäruniformen getragen. Augenzeugen hätten erklärt, die Bewaffneten hätten dieselbe militärische Kleidung getragen wie die Männer, die am Vortag die Gebäude von Parlament und Regionalregierung auf der ukrainischen Halbinsel Krim besetzt hätten.
Klitschko findet klare Worte: Der ukrainische Oppositionsführer Vitali Klitschko hat Russland für die Aufnahme des abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch kritisiert. "Es ist eine Provokation für jeden Ukrainer, dass Putin diesem blutigen Diktator Zuflucht gewährt", sagte der Ex-Boxer der Bild-Zeitung. Janukowitsch müsse sofort vor Gericht gestellt werden.
Steinmeier settz auf wirtschaftliche Hilfe aus Russland: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und sein US-Kollege John Kerry haben Russland zu einer konstruktiven Rolle bei der Stabilisierung der Ukraine aufgerufen. "Wir werden sehr genau und sehr hoffnungsvoll beobachten, ob Russland bei unseren Bemühungen mitmachen wird", sagte Kerry nach einem Treffen mit Steinmeier in Washington. Steinmeier hofft, dass sich Russland auch an internationalen Finanzhilfen für Kiew beteiligen werde. Die Finanzlage der Ukraine ist auch Thema des heutigen Treffens von Steinmeier mit IWF-Chefin Christine Lagarde. Der Bundesaußenminister machte keine genauen Angaben, in welchem Umfang sich Deutschland und die Europäische Union an einem Hilfspaket beteiligen würden. Zunächst müsse die Kassenlage in Kiew genau ermittelt werden. Steinmeier begrüßte, dass Washington der Ukraine eine Kreditgarantie über eine Milliarde Dollar in Aussicht stellte. Die EU könnte sich mit einer ähnlichen Summe beteiligen, sagte er.
Janukowitsch in Russland: Der ukrainische Ex-Präsident Viktor Janukowitsch ist offenbar in Russland. Er gibt dort Berichten der Nachrichtenagenturen Interfax und Ria Nowosti zufolge am morgigen Freitag um 17 Uhr eine Pressekonferenz, vermutlich in Rostow am Don. Janukowitsch hatte sich zuvor hilfesuchend an Russland gewandt - mit Erfolg. Die Regierung in Moskau hatte ihm offiziell Schutz gewährt. Janukowitsch wird in seiner Heimat wegen "Massenmordes" gesucht. Er war vom Parlament abgesetzt worden, nachdem die Proteste gegen ihn eskaliert und Dutzende Menschen ums Leben gekommen waren.
Krim-Parlament will Volksbefragung: Das prorussische Parlament der Halbinsel Krim will eine Volksbefragung über die Zukunft der eigenen Autonomie abhalten. Die Volksvertreter haben das Referendum für den 25. Mai angesetzt, an dem auch der neue ukrainische Präsident gewählt werden soll. "Durch die verfassungswidrige Machtübernahme in der Ukraine von radikalen Nationalisten und mit Unterstützung bewaffneter Banden sind Friede und Ruhe auf der Krim gefährdet", sagte eine Parlamentssprecherin nach Berichten örtlicher Medien. "Die Ukraine rutscht in Chaos, Anarchie und wirtschaftliche Katastrophe." Deshalb übernehme das Parlament die Verantwortung für die Zukunft der Krim. Am Vortag war es vor dem Gebäude zu Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Anhängern einer Abspaltung von Kiew gekommen.
Jazenjuk kündigt harte Maßnahmen an: Der designierte ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk stimmt seine Landsleute in einer Rede im Parlament auf "unpopuläre Entscheidungen" zur Bewältigung der Krise ein. Zuvor hatte sich das Parlament auf das Koalitionsbündnis "Europäische Wahl" geeinigt und Jazenjuk zum Regierungschef gewählt. Den Zusammenschluss stützen 250 von 450 Abgeordneten. Am Vortag hatte der sogenannte Maidan-Rat, in dem die Führungsspitzen der bisherigen Oppositionsbewegung versammelt sind, den 39-jährigen für das Amt zusammen mit weiteren Kabinettsmitgliedern nominiert. Jazenjuk gehört zur Vaterlandspartei von Julia Timoschenko und hatte diese zuletzt während der Haft der Oppositionspolitikerin geführt. Er war bereits Außenminister der Ukraine und gilt als erfahrener Technokrat. Ihm steht eine schwere Zeit bevor: Die Ukraine ist so gut wie pleite, zudem misstrauen viele Anhänger der Protestbewegung den etablierten Parteien auch nach dem Sturz von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch.
Russland bietet Janukowitsch Zuflucht an: Der gestürzte ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch bittet Russland um Zuflucht vor "Extremisten" - und bekommt ihn gewährt. Russland sichert ihm "persönlichen Schutz" zu. Janukowitsch beharrt darauf, immer noch das legitime Staatsoberhaupt zu sein. Fünf Tage nach seinem Sturz hat er sich in russischen Medien zu Wort gemeldet und seinen Anspruch auf das Präsidentenamt bekräftigt. Er sei nach wie vor der Präsident der Ukraine, die Entscheidungen des Parlaments in Kiew seien illegal, sagte Janukowitsch laut Berichten russischer Nachrichtenagenturen. Die neuen Machthaber in Kiew haben ihn wegen des Vorwurfs des Massenmordes zur Fahndung ausgeschrieben.
Ukraine warnt Russland vor Truppenbewegungen: Angesichts zunehmender Spannungen auf der Krim hat die Ukraine ihren Nachbarn Russland eindringlich vor Truppenbewegungen auf der Halbinsel gewarnt. Das ukrainische Außenministerium hat den russischen Gesandten in Kiew einbestellt. Sollten sich Angehörige der Schwarzmeerflotte "unangemeldet außerhalb der festgelegten Zonen" bewegen, werde dies als "militärische Aggression" gewertet, sagte Interimspräsident Alexander Turtschinow. Russland testet im Rahmen eines großen Militärmanövers nach offiziellen Angaben unter anderem seine Kampfbomber-Flotte im Westen des Landes. Die russische Regierung beklagt seit Tagen die "neofaschistische" Stimmung in der Ukraine und betonte zuletzt via Twitter, Russland werde die Rechte seiner Landsleute auf der Krim "stark und kompromisslos" verteidigen. Seit Änderung seiner Militärdoktrin 2010 kann Russland seine Armee im Ausland leichter einsetzen als zuvor, zum Beispiel wenn es um den Schutz der eigenen Bürger im Ausland geht.
Nato ruft Russland zur Zurückhaltung auf: Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat Russland angesichts der jüngsten Ereignisse in der Ukraine zur Zurückhaltung ermahnt. "Ich bin extrem besorgt über die Entwicklungen auf der Krim", sagte Rasmussen. "Ich fordere Russland dringend auf, keine Handlungen zu unternehmen, die Spannungen verschärfen oder zu Missverständnissen führen können."
Pro-russische Bewaffnete besetzen Krim-Parlament: Auf der ukrainischen Halbinsel Krim haben Unbekannte die Gebäude von Parlament und Regionalregierung besetzt. Die Männer hätten sich mit Waffen Zugang verschafft, sagte ein Behördenmitarbeiter der Agentur Interfax zufolge in Simferopol. Ein Sprecher der Minderheit der Krimtataren teilte mit, die Gruppe trage Uniformen ohne nähere Kennung. Es habe zunächst keine Forderungen gegeben. Die Sicherheitskräfte der ukrainischen Halbinsel sind in Alarmbereitschaft. Das Stadtviertel von Simferopol sei abgeriegelt worden, teilte Interimsinnenminister Arsen Awakow mit. Die Polizei lasse keine "extremistischen Handlungen" zu. Die Mehrheit der Krim-Bewohner sind ethnische Russen. Der Hafen Sewastopol ist Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte. Am Vortag war es in Simferopol zwischen Befürwortern und Gegnern einer Annäherung an Russland zu Zusammenstößen gekommen.
Linktipps:
Nach dem Umsturz beginnt in der Ukraine das Ringen um die politische Macht. SZ-Russland-Experte Frank Nienhuysen erklärt, warum die frühere Regierungschefin Timoschenko so umstritten ist.
Einen Livestream zu den Ereignissen aus Kiew gibt es hier.