Kaum ist Präsident Janukowitsch abgesetzt, beginnt in der Ukraine der Kampf um Macht und Einfluss. Es geht darum, wer das Land künftig regiert. Neben den Polit-Stars Timoschenko und Klitschko haben auch ein Schoko-Milliardär und zwei Nationalisten große Ambitionen. Der 22. Februar wird in die Geschichte der Ukraine eingehen: Am Nachmittag wurde Präsident Viktor Janukowitsch vom Parlament abgesetzt, Bürger stürmten seine Protz-Residenz und am Abend hielt die aus der Haft entlassene Oppositionspolitkerin Julia Timoschenko eine Rede. Doch wie geht es nun weiter und wer hat künftig welchen Einfluss auf den Kurs der Ukraine? Die wichtigsten Akteure im Überblick.
Seit Samstagabend steht Julia Timoschenko im Zentrum der Aufmerksamkeit. Zuvor war die bekannteste Politikerin der Ukraine nach zweieinhalb Jahren aus der Haft entlassen worden und hielt eine emotionale Rede auf dem Maidan. Dabei wurde deutlich, dass die 53-Jährige zwar geschwächt, aber noch immer äußerst charismatisch ist. Sie hat ausgeschlossen, den Posten des Übergangsregierungschefs zu übernehmen, doch sie hält es sich offen, am 25. Mai als Präsidentin anzutreten. Ihre Verurteilung zu sieben Jahren Haft wegen Amtsmissbrauch kritisierten viele Beobachter als politisch motiviert. Sie galt als die schärfste Widersacherin von Präsident Janukowitsch. Für ihren Willen und ihre Bereitschaft, mit Hungerstreiks ans Äußerste zu gehen, erhielt sie viel Respekt. Doch viele Demonstranten sorgen sich, dass Timoschenko "ihren Protest" nun kapern könnte. "Wir standen nicht Ihretwegen auf dem Maidan. Wir haben nicht für Sie gekämpft", heißt es in einem offenen Brief, der im Netz kursiert. Timoschenko steht für vieles, was die Demonstranten an den ukrainischen Politikern hassen. In den neunziger Jahren häufte die "Gas-Prinzessin" in der Energiebranche ein Vermögen an und kooperierte mit Oligarchen. 2004 war sie eine wichtige Protagonistin der "Orangenen Revolution", doch als Regierungschefin zerstritt sie sich völlig mit dem damaligen Präsident Juschtschenko. Viele Beobachter merken an, dass sie in ihrer Amtszeit die Ukraine keineswegs in Richtung Europa führte oder genug gegen die Korruption tat.
Für die Financial Times gilt Arsenij Jazenjuk als "Favorit der Amerikaner". Obwohl er erst 39 Jahre alt ist, hatte Jazenjuk bereits viele wichtige Posten inne: Er war Außenminister, Parlamentspräsident, leitete vorübergehend die ukrainische Zentralbank und leitete eine Zeitlang einen wichtigen Thinktank. Der schmächtige Mann mit der prägnanten Brille fungierte zuletzt als Platzhalter von Julia Timoschenko als Chef der Batkiwschtschyna-Partei (Vaterlandspartei) und gehörte mit Klitschko und dem Nationalisten Tiagnibok zum Dreiergespann, das die Janukowitsch-Gegner in der Öffentlichkeit vertrat. Nachdem Timoschenko aus der Haft entlassen wurde, war Jazenjuks Rolle zunächst unklar. Am Samstagabend schob er den Rollstuhl der Ex-Ministerpräsidentin und wirkte dabei nicht sehr glücklich - SZ-Korrespondentin Cathrin Kahlweit zufolge machte Jazenjuk mitunter ein Gesicht, "als hätte er nicht übel Lust, sie mitsamt ihrem Gefährt die Rampe hinunterzukippen." Mitte der Woche wurde Jazenjuk schließlich den Aktivisten auf dem Maidan als Übergangspremier präsentiert. Nun ist er der Chef der Übergangsregierung, die das Land in Richtung Neuwahlen führen soll. Keine leichte Aufgabe: Die Ukraine ist so gut wie pleite, die Protestbewegung misstraut immer noch den etablierten Parteien.
In Deutschland ist Vitali Klitschko schon lange bekannt: Der einstige Boxweltmeister spricht deutsch, hat einen ständigen Wohnsitz in Hamburg und schreibt seit längerem eine eigene Kolumne in der Bild-Zeitung. Der 42-Jährige scheiterte als Bürgermeisterkandidat in Kiew und vertritt seine Partei Udar (Schlag) seit 2012 als Fraktionschef im ukrainischen Parlament. Bei den Protesten auf dem Maidan war der 2,02 Meter große Klitschko von Anfang an dabei. Der ältere der Klitschko-Brüder mit dem Spitznamen "Dr. Eisenfaust" bildete mit Timoschenko-Gefolgsmann Arseni Jazenjuk und dem Swoboda-Chef Oleg Tiagnibok ein Dreiergespann, das mit diversen Emissären im In- und Ausland verhandelte - der Einfluss des Trios auf die höchst unterschiedlichen Gruppen auf dem Maidan war jedoch gering. Klitschko galt als "Gesicht der Proteste, aber nicht als deren Kopf", auch wenn er das erfolgreiche Amtsenthebungsverfahren gegen Janukowitsch auf dem Maidan ankündigte. Bereits im Oktober 2013 hatte er angekündigt, als Präsident bei den nächsten Wahlen antreten zu wollen. Am 25. Februar gab er bekannt, sich als Kandidat am 25. Mai zu beteiligen: "Ich bin völlig überzeugt davon, dass in der Ukraine die Spielregeln geändert werden müssen."
Als Übergangspräsident ist Alexander Turtschinow derzeit einer der wichtigsten Akteure in der Post-Janukowitsch-Ukraine. Der 49-Jährige wurde bereits 1998 ins Parlament gewählt, seit 1999 fungierte er als Stellvertreter von Julia Timoschenko in ihrer Partei - er gilt als "ihre rechte Hand". Die FAZ beschreibt das Duo so: "Wo auch immer Timoschenko in ihrer politischen Karriere stand: Auf Turtschinow konnte sie sich immer verlassen." Der in Dnipropetrowsk geborene Turtschinow war Funktionär in der sowjetischen Jugendbewegung, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs arbeitete er eng mit Ex-Präsident Leonid Kutschma zusammen. Für dessen Nachfolger Viktor Juschtschenko organisierte er 2004 den Wahlkampf in der Ostukraine. Unter Ministerpräsidentin Timoschenko fungierte er sechs Monate lang als Chef des Geheimdienstes. 2010 wurde er kurzzeitig Vize-Regierungschef - erneut an der Seite von Timoschenko. Als Übergangspräsident sind seine Befugnisse gemäß der wiederhergestellten alten Verfassung beschränkt. Offen wirbt er für einen pro-westlichen Kurs: "Wir müssen in die europäische Familie zurückkehren". Mit seiner ausgleichenden Art kommt der Interims-Staatschef laut ZEIT Online bei den Abgeordneten gut an, Janukowitschs Partei der Regionen rechnete es ihm hoch an, Regierungsgegner zum Verzicht auf Selbstjustiz aufgerufen zu haben. Der Ökonom hält sich gerne im Hintergrund, ukrainischen Medien soll er einmal erklärt haben, in einem normalen Land lieber als Wissenschaftler oder baptistischer Prediger arbeiten zu wollen. Turtschinow hat mehrere Romane geschrieben, einer davon wurde bereits verfilmt.
Andrij Parubij ist amtierender Vorsitzender des nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine. Er leitete die Selbstverteidigung der Protestierenden bei den Unruhen auf Kiews Straßen. Als inoffizieller "Kommandeur des Maidan" genießt er hohes Ansehen bei der Bevölkerung. Ein aktuelles Anliegen ist für ihn: "Wir müssen der Welt zeigen, dass wir in der Lage sind einen Staat aufzubauen." Parubij war schon immer ein Rebell. Ende der achtziger Jahre wurde er festgenommen, weil er eine illegale Kundgebung für die Unabhängigkeit der Ukraine von der Sowjetunion abhielt. Auch an der Orangen Revolution 2004 war er beteiligt und saß für die Partei des zeitweiligen Präsidenten Wiktor Juschtschenko, "Nascha Ukrajine" (Unsere Ukraine), im Parlament. 2012 stellte er sich für die Liste von Timoschenkos Vaterlandspartei zur Verfügung und wurde erneut ins Parlament gewählt.
Arsen Avakov (rechts) ist am 22. Februar zum Innenminister der Übergangsregierung gewählt worden. Der 50-jährige ehemalige Geschäftsmann ist Mitglied von Julia Timoschenkos Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna). Als sein oberstes Ziel hat er deklariert, die Ordnung im Land wieder herzustellen. Geboren ist Avakov in Aserbaidschan, seit den sechziger Jahren lebt er in der Ukraine. Bevor er in die Politik einstieg, arbeitete er an der Nationalen Technischen Universität "Polytechnisches Institut Charkiw (Charkow)", später als Ingenieur. Er engagierte sich zuerst in Wiktor Juschtschenkos Partei "Nascha Ukrajine" (Unsere Ukraine), 2010 wechselte er zu Julia Timoschenkos "Batkiwschtschyna", deren Chef er im Gebiet Charkow ist. Experten rechnen damit, dass er sich mit den Schüssen auf die Demonstranten in Kiew am 18. bis 20. Februar befassen wird. Während der Umbrüche in Kiew war er äußerst aktiv in den sozialen Netzwerken: Noch vor offiziellen Quellen hatte er entscheidende Informationen vom Maidan über seinen Account veröffentlicht.
Oleg Tiagnibok hat Medizin studiert, doch seit langem widmet sich der 45-Jährige der politischen Arbeit. Er ist Chef der nationalistischen Partei "Swoboda" (Freiheit). Tiagnibok fiel in der Vergangenheit durch antisemtische Sprüche auf: 2004 klagte er etwa über den Einfluss der "jüdischen Mafia Moskaus" in der Ukraine. Die Folge: Das Simon-Wiesenthal-Zentrum Tiagnibok setzte den Mann aus der Westukraine 2012 auf den fünften Platz seiner Liste der schlimmsten Antisemiten weltweit, der Jüdische Weltkongress bezeichnet seine Swoboda als neonazistisch und stellt sie in eine Reihe mit der griechischen Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung) und der ungarischen Jobbik. In die Parlamentswahlen von 2012 zog Swoboda mit einem gemäßigten Programm, seither tritt auch Tiagnibok leiser auf. Während der Proteste wurden seine nationalistischen Töne weniger, stattdessen schwärmte er von der europäischen Idee und präsentierte sich pro-westlich. Seine harschen, anti-russischen Parolen kamen aber nach wie vor gut an. Dass Tiagnibok seit Wochen an der Seite von Klitschko und Jazenjuk auf dem Maidan zu sehen war und mit ausländischen Politikern verhandelte, hat sein Image aufpoliert. Allerdings nehmen ihm viele Demonstranten und zahlreiche Experten seine leiseren, pro-europäischen Töne nicht ab. Dass er Ambitionen auf das Präsidentschaftsamt hat, gilt als sicher. Er hatte bereits 2010 kandidiert, doch er bekam nur 1,4 Prozent der Stimmen. Bei der letzten Parlamentswahl 2012 lief es besser für Swoboda: Jeder zehnte ukrainische Wähler stimmte für die nationalistische Partei.
Das neue Anti-Korruptions-Komitee leitet Tetjana Schornowil (ganz links im Bild). Die 34-jährige Journalistin ist bekannt für ihre investigative Arbeit. Als sie den korrupten Machenschaften rund um Präsident Janukowitsch und seiner Regierung auf der Spur war, wurde sie im Dezember 2013 Opfer einer Prügelattacke. Im Internet veröffentlichte sie danach Bilder, die Verletzungen in ihrem Gesicht zeigten. Der Vorfall brachte ihr beim Volk viele Sympathien ein. In einem Interview mit der Deutschen Welle im Januar 2014 bestätigte sie: "Ich bin eine Person, die gegen Janukowitsch kämpft!" Auch als Aktivistin ist sie bekannt. Unter anderem war sie auch bei der Orangen Revolution aktiv. Neben Julia Timoschenko ist sie momentan eine der wenigen Frauen in der Ukraine, die in der Politik eine wichtige Rolle spielen.
Petro Poroschenko ist eine der schillerndsten Figuren der ukrainischen Wirtschaft- und Politszene. Der Oligarch trägt den Spitznamen "Schokoladenkönig", weil er mit Süßwaren (und anderen Geschäften) zum Milliardär wurde. Er ist der einzige der Oligarchen, der sich offen gegen Präsident Janukowitsch stellte. Dass er seit längerem Abgeordneter im ukrainischen Parlament Rada ist und mit "5 Kanal" einen TV-Sender besitzt, würde ihm im Präsidentschafts-Wahlkampf sicher nicht schaden. Dass schwerreiche Männer in der Politik mitmischen, ist in der Ukraine normal: Poroschenko war bis Dezember 2012 Wirtschaftsminister; zuvor war er schon als Außenminister und Nationaler Sicherheitsberater tätig. Poroschenko ließ sich auch nicht durch russische Boykottdrohungen gegen seinen Schoko-Konzern Roshen davon abhalten, die Proteste zu finanzieren. Er flog etwa mit dem gefolterten Aktivisten Dmitrij Bulatow nach dessen Befreiung ins litauische Vilnius. Das Verhältnis Poroschenkos zu Julia Timoschenko gilt als belastet - die beiden haben sich kurz nach der Orangenen Revolution zerstritten.
Dmitrij Jarosch (links) ist der große Unbekannte unter den Akteuren in der Übergangsphase in der Ukraine. Der 42-Jährige stammt aus der Ostukraine und ist Chef des Rechten Sektors (Prawy Sektor), einer informellen Vereinigung von rechtsradikalen und neofaschistischen Splittergruppen. Erstmals trat die Organisation bei den Protesten Ende November in Kiew in Erscheinung. Zu den sogenannten "Selbstverteidigungskräften" des Maidans steuert sie Hunderte Kämpfer bei, die meist an vorderster Front die Barrikaden bewachen. Die Mitglieder des Rechten Sektors treten in Tarnfleckuniformen, Helmen und Skimasken auf; landesweit schätzt die Gruppierung das Mobilisierungspotenzial auf etwa 5000 Menschen. Die Gruppe sieht sich in der Tradition ukrainischer Partisanen, die etwa während des Zweiten Weltkriegs gegen die Besatzer aus Nazi-Deutschland sowie gegen die Sowjet-Armee gekämpft hatten. Die Ideologie des Sektors grenzt laut des Magazins TIME an Faschismus - jeglicher ausländische Einfluss auf die Ukraine wird abgelehnt. Dies richtet sich besonders gegen eine Einmischung Moskaus. Auf dem Maidan fielen die Kämpfer des Rechten Sektors schon optisch auf. Zahlreiche Medienberichte beschäftigten sich mit der Rolle rechtsradikaler Kräfte in der Protestbewegung. Tatsächlich stellen Rechtsradikale zahlenmäßig nur eine Minderheit der Demonstranten. Vor allem der Rechte Sektor schaffte es aber, sich als Beschützer der Bewegung zu präsentieren, was den Vermummten Anerkennung einbrachte. "Wir sind keine Politiker, sondern Soldaten der nationalen Revolution", tönte der aus der Ostukraine stammende Jarosch im Interview mit TIME. Es erscheint deshalb unwahrscheinlich, dass er ein Amt anstrebt. Sein Einfluss dürfte dennoch beachtlich sein - der Rechte Sektor kann Ausschreitungen unterbinden, aber auch Gewalt provozieren.