Ukraine:Verfassungsrichter als Hüter der Korruption

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Der Präsident läuft auf beim Kampf gegen Korruption: Wolodimir Selenskij, auf dem Monitor zu sehen, musste wegen einer Covid-19-Erkrankung im November einige Zeit vom Krankenhaus aus regieren. (Foto: Ukrainian Presidential Press Office/dpa)

Bestechung und Käuflichkeit durchdringen alle Institutionen. Ausgerechnet das höchste Gericht macht Fortschritte im Kampf gegen dieses Grundübel zunichte. Es geht um Geld, aber auch um Sabotage der Zusammenarbeit des Landes mit EU und Nato. Der Internationale Währungsfonds zieht daraus nun Konsequenzen.

Von Florian Hassel, Warschau

Der ukrainische Finanzminister Serhij Martschenko ist nicht zu beneiden. Allein bis Jahresende fehlen ihm fast drei Milliarden Euro - keine Kleinigkeit bei einem Staatshaushalt, der umgerechnet gerade gut 40 Milliarden Euro umfasst. Eigentlich hatte Martschenko auf zwei Milliardentranchen des Internationalen Währungsfonds (IWF) gehofft. Doch der IWF hält sein Geld zurück: Denn Kiew schreitet nicht voran, sondern sogar massiv zurück beim vereinbarten Vorgehen gegen Korruption, diesem alle Institutionen durchdringenden Grundübel der Ukraine.

Dazu trägt nicht zuletzt das Verfassungsgericht (KSU) bei, das höchste Gericht genießt einen miserablen Ruf. So ließ Präsident Wiktor Janukowitsch genehme Urteile mit Zahlungen von sechs Millionen Dollar erkaufen, wie nach Janukowitschs Sturz 2014 ein Kassenbuch seiner Partei belegt hat. Aktuell wird gegen mehrere Verfassungsrichter, deren Gehälter und luxuriöser Lebensstil weit auseinanderklaffen, wegen Korruptionsverdachts ermittelt. Gegen Gerichtspräsident Alexander Tupitzkij laufen drei verschiedene Ermittlungen.

Dutzende Verfahren gegen korrupte Staatsdiener mussten eingestellt und Urteile aufgehoben werden

Doch das KSU urteilte, ein Gesetz zur Strafverfolgung für illegal erworbenes Eigentum sei verfassungswidrig. Dann kassierte es ein Gesetz ein über Strafverfolgung von illegal ergangenen Gerichtsurteilen. Urteil 3 und 4 erklärten die Ernennung des Direktors des Anti-Korruptions-Büros Nabu und zentrale Vollmachten der Behörde für verfassungswidrig. Und am 27. Oktober entschied das KSU, verfassungswidrig seien auch die Pflicht zu Vermögenserklärungen für Amtsträger und ihre Kontrolle.

Die Folgen waren, dass Dutzende Ermittlungen und Gerichtsverfahren gegen mutmaßlich korrupte Staatsdiener eingestellt, ergangene Urteile aufgehoben werden mussten. Und demnächst stehen Urteile zur Verfassungsgemäßheit eines neuen, unabhängigen Anti-Korruptions-Gerichts und zu Reformen an, mit denen Kiew für Geldwäsche benutzte Banken schloss oder enteignete.

Kenner in Kiew gehen davon aus, dass im Hintergrund Moskau die Drähte zieht

Kiewer Medien legen nahe, dass für diese skandalösen Urteile des Verfassungsgerichts Geld floss und sie auch einen politischen Hintergrund haben: Entsprechende Klagen wurden etwa von Mitgliedern der prorussischen Parlamentsfraktion Oppositionsblock - Für das Leben eingereicht. Zu deren Führern gehört Wiktor Medwedtschuk, häufiger Gast von Russlands Präsident Wladimir Putin, der auch Pate von Medwedtschuks Tochter Darjana ist. Verfassungsgerichtspräsident Tupitzkij kaufte rechtswidrig Land auf der von Moskau besetzten Krim. Ex-Verfassungsgerichtspräsident Stanislaw Schewtschuk und dem Parlamentarier Jegor Tschernew zufolge habe Russland die Skandalurteile mit organisiert, um bisherige Reformen zu sabotieren und nicht zuletzt Kiews Westkurs und die Zusammenarbeit mit IWF, EU und Nato.

Präsident Selenskij versucht mit neuen Gesetzen gegenzusteuern. Nur hat er im Parlament keine Mehrheit für sie

Nutznießer ist auch der Oligarch Ihor Kolomoiskij, der nach milliardenschweren Manipulationen die früher ihm und einem Geschäftspartner gehörende PrivatBank verlor. Parlamentarier Tschernew zufolge kontrolliert Kolomoiskij im ukrainischen Parlament rund 65 Abgeordnete, Dutzende von ihnen in der nur nominell von Präsident Wolodimir Selenskij gestellten Parlamentsfraktion "Diener des Volkes".

Präsident Selenskij brachte einen Gesetzentwurf ein, um alle Verfassungsrichter für abgesetzt zu erklären. Ein weiterer Entwurf soll die Strafverfolgung für verschwiegenes, mutmaßlich durch Korruption erworbenes Vermögen wieder einführen. Für beide Gesetze hat der Präsident indes im Parlament keine Mehrheit. Ex-Verfassungsgerichtspräsident Schewtschuk schlug vor, die Ermittlungen gegen seinen Nachfolger Tupitzkij zu beschleunigen und ihn anzuklagen - dann könne er vom Dienst suspendiert werden.

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