Krieg in der Ukraine:Entsetzen über ermordete Zivilisten

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Menschen in Odessa werden aus dem Alltag gerissen, als Raketen in ihrer Stadt einschlagen. (Foto: Petros Giannakouris/dpa)

Nach dem Rückzug russischer Truppen aus der Umgebung von Kiew liegen Dutzende Leichen auf den Straßen. Bundeskanzler Scholz spricht von "Kriegsverbrechen" und kündigt weitere Sanktionen an.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Russische Soldaten haben in der Ukraine mutmaßlich Dutzende Zivilisten ermordet, westliche Politiker warfen Moskau deshalb Kriegsverbrechen vor und forderten neue Sanktionen. Beim Rückzug aus der Region Kiew hatten die Truppen in dem Ort Butscha eine große Zahl erschossener Menschen hinterlassen. Zugleich weiteten die Streitkräfte Russlands ihre Angriffe im Donbass und im Süden der Ukraine aus. Die Hafenstadt Odessa wurde zum Ziel von Raketenangriffen. Laut russischem Militär galten sie einer Raffinerie und Treibstofflagern.

Der Bürgermeister von Butscha sprach am Sonntag von mehreren Hundert Leichen, die teils die Arme hinter dem Rücken gefesselt gehabt hätten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verurteilte Russland scharf: "Das ist in der Tat ein Völkermord", sagte er dem US-Sender CBS. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sprach von einem "Massaker". Er forderte die G-7-Staaten auf, "vernichtende" Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Das Verteidigungsministerium in Moskau bezeichnete Fotos und Videos aus Butscha als Fälschung. "In der Zeit, in der die Siedlung unter der Kontrolle der russischen Streitkräfte stand, hat kein einziger Einwohner unter irgendwelchen Gewalttaten gelitten", hieß es in einer Mitteilung des russischen Ministeriums. Unabhängige westliche Journalisten haben aber die Leichenfunde in den Straßen ebenso bestätigt wie die Existenz eines Massengrabs.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat nach eigenen Angaben eine Reihe "offenkundiger Kriegsverbrechen" der russischen Truppen auch in den Regionen Tschernihiw im Norden und in Charkiw im Osten des Landes dokumentiert. US-Außenminister Antony Blinken zeigte sich entsetzt. Seine Regierung war schon zuvor zu dem Schluss gekommen, dass russische Truppen in der Ukraine Kriegsverbrechen begingen. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko sagte der Süddeutschen Zeitung bereits vor den Leichenfunden, der russische Präsident Wladimir Putin nehme "auf nichts Rücksicht, weder auf Zivilisten noch auf historische Gebäude". Dieser habe in Mariupol bewiesen, dass er keine Gnade kenne.

Kanzler Scholz verlangt eine schonungslose Aufklärung

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betonte, die Ermordung von Zivilisten sei ein "Kriegsverbrechen" und verlangte eine schonungslose Aufklärung. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz müsse Zugang erhalten, um die Gräueltaten unabhängig zu dokumentieren. Die Täter und ihre Auftraggeber müssten konsequent zur Rechenschaft gezogen werden. Außerdem kündigte Scholz weitere Sanktionen an. "Wir werden im Kreis der Verbündeten in den nächsten Tagen weitere Maßnahmen beschließen", sagte er. "Putin und seine Unterstützer werden die Folgen spüren."

Auch Außenministerin Annalena Baerbock kündigte an, dass die Strafen gegen Russland weiter verschärft werden sollen und Deutschland die Ukraine noch stärker bei ihrer Verteidigung unterstützen werde. Vizekanzler Robert Habeck sagte, dieses "furchtbare Kriegsverbrechen kann nicht unbeantwortet bleiben". Eine Verschärfung der Sanktionen wird in der EU bereits vorbereitet.

Der ukrainische Außenminister Kuleba erhofft sich allerdings nicht viel von den angekündigten EU-Sanktionen gegen Russland. Er kenne die aktuellen Entwürfe für das geplante fünfte Paket mit Strafmaßnahmen. Daher könne er vorhersagen, dass sie nicht ausreichten, sagte er am Sonntag in einer auf Twitter veröffentlichten Videobotschaft.

Zunehmen dürfte nun aber der Druck, ein vollständiges Energie-Embargo zu verhängen und Russland vom internationalen Finanzsystem abzuschneiden. Das lehnt die Bundesregierung bislang ab.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte, die von Russland verübten Kriegsverbrechen seien "vor den Augen der Welt sichtbar". Zuvor hatte ihm der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, in einem Interview im Tagesspiegel eine "höchst bedenkliche politische Nähe zu Russland" vorgeworfen.

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