Tunnel zwischen Gaza und Ägypten:Grenzverkehr unter Tage

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Durch Tunnel werden von Ägypten aus alle möglichen Güter in den abgeriegelten Gaza-Streifen geschmuggelt: Waffen, Lebensmittel - und komplette Autos, wie Handy-Videos zeigen.

Tomas Avenarius, Kairo

Der Film schlierig, das Licht düster, die Bilder verwackelt: Ein Mittelklassewagen - elegantes Schwarz, koreanische Bauart -, wird von einer Planierraupe durch einen Erdtunnel gezogen. Das klammheimliche Autogeschäft im Gaza-Streifen erscheint als mühsam und gefährlich: An einer Stelle löst sich das Erdreich, schwere Brocken prasseln auf Personal und Raupe, die Hyundai-Kühlerhaube bekommt den größten Teil ab.

Der britische Fernsehsender BBC veröffentlichte jetzt einen mit der Handykamera aufgenommenen Film. Er belegt: Das Tunnelgeschäft im von den Israelis und Ägyptern abgeriegelten Gaza-Streifen läuft besser denn je. Nicht nur Waffen, Kleider, Lebensmittel und Schlachtvieh gelangen ins Palästinensergebiet, sondern ganze Autos.

Weshalb der Reporter auf der anderen Seite des Tunnels den neuen Besitzer befragt. "Was sollte ich tun", antwortet der Gaza-Palästinenser Ahmed Bahloul. "Ich wollte einen neuen Wagen. Wegen der Blockade ist der Tunnel die einzige Möglichkeit."

Was die berüchtigten Gaza-Tunnel angeht, kursieren viele Geschichten. Klar ist, dass militante Palästinensergruppen wie die Hamas nach wie vor Waffen durch Hunderte geheimer Schächte ins Land bringen. Auf der ägyptischen Seite der geteilten Stadt Rafah unterstützen sie dabei Beduinen und korrupte Polizeioffiziere.

Ebenso klar ist, dass die knapp eineinhalb Millionen Gaza-Palästinenser angesichts der seit Jahren bestehenden israelischen Blockade ohne die Tunnel kaum überleben könnten: Die Grenze ist ein unterirdischer Supermarkt. Neben den Waffen kommen Geld, Benzin, Küchengas, Medikamente, Lebensmittel, Kleider und Elektrogeräte ins Land.

Zu islamischen Opferfesttagen werden Hammelherden und Kälber unter der Grenze durchgetrieben. Gelegentlich wird ein Löwe oder Affe für die ärmlichen Tiergärten durchgeschleust. Es ist allein eine Frage der Bezahlung, und die Tunnelbarone verdienen gut. Der Neuwagenbesitzer Bahloul etwa zahlte einen Aufpreis von etwa 25 Prozent: für die unterirdische Anlieferung seines Autos.

Ägypten baut auf internationalen Druck hin an einer Sperranlage. Sie soll das Tunnelgeschäft zum Erliegen bringen. Wie ernsthaft dies betrieben wird, ist schwer zu sagen: Das Gebiet ist abgeriegelt. Offenbar verankern die Ägypter neben einer tief reichenden Trennwand Sensoren: So sollen Grabungsbewegungen aufgespürt werden.

Gerüchte sagen, dass Rohre in den Boden versenkt werden - damit können Tunnel angeblich geflutet oder Gas könnte in die Schächte geleitet werden. Zumindest das Fluten wäre nicht neu. Schon seit langem leiten die ägyptischen Sicherheitskräfte Wasser ein, um die Schächte im sandigen Untergrund zu zerstören. Schmuggler in Gaza erzählen von Gas und Todesopfern.

Dennoch kommt das Lebensnotwendige in den Gaza-Streifen. Und Luxus für die, die ihn sich leisten können: Autos sind gefragt, da der größte Teil des Gaza-Fuhrparks Museumscharakter hat. Selbst Bräute wechseln die Seite: Araber verheiraten ihre Kinder gern innerhalb der Großfamilie. Weshalb sich die Menschen im geteilten Rafah familiär verbunden bleiben. Auch Frauen aus dem Westjordanland, von Gaza-Palästinensern im Internet kennen gelernt, sind nach Gaza gelangt. So besteht, trotz aller politischer Zerwürfnisse und dank der Tunnel, weiter eine Art palästinensische Einheit zwischen dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland.

© SZ vom 09.04.2010/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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