Tunesien nach der Wahl:"Wir machen keinen Pakt mit dem Teufel"

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Wer hat Angst vor moderaten Islamisten? Tunesien hat gewählt - und vorläufigen offiziellen Ergebnissen zufolge erhält die En-Nahda-Bewegung mehr als 40 Prozent der Stimmen. Seit Tagen versuchen deren Vertreter, Ängste zu zerstreuen und versprechen: keine Polygamie, kein Kopftuchzwang. Die Säkularen sind dennoch in großer Sorge.

Sonja Zekri

"Nein, nein, nein, es ist nicht der Teufel, und wir machen auch keinen Pakt mit dem Teufel", beschwichtigte Moncef Marzouki, Chef der Partei Kongress für die Republik (CPR), das tunesische Publikum: En-Nahda, die Islamisten, die bei den ersten freien Wahlen des Landes nach vorläufigen offiziellen Ergebnissen mehr als 40 Prozent der Stimmen bekommen haben und nun nach Koalitionspartnern für die Verfassungsgebende Versammlung suchen, En-Nahda also vertrete den "moderaten Teil des Islam": "Man sollte sie nicht für die Taliban Tunesiens halten."

Anhänger der Islamisten-Bewegung En-Nahda feiern den Wahlsieg in Tunis - die Säkularen sehen den Erfolg der Partei mit Sorge. (Foto: REUTERS)

Die besorgten Säkularen im liberalen Magrebstaat dürfte das nicht zwingend beruhigen, und dass die ultrakonservativen Salafisten den Nahda-Sieg als "das geringste von allen Übeln" lobten, schien die Furcht vor einem Abgleiten Tunesiens in religiösen Eifer eher zu bestätigen. Einige Hundert Nahda-Gegner demonstrierten nach der Wahl und warfen den Islamisten Manipulationen vor, obwohl Hunderte internationale und Tausende tunesische Beobachter die Beeinflussungsversuche verschiedener Parteien für hinnehmbar erklärt und die Tunesier für den friedlichen Ablauf, die Geduld in den Wahllokalen und die Transparenz gelobt hatten.

Marzouki, eigentlich Mediziner, im repressiven Tunesien aber lange als Menschenrechtler tätig, genießt Glaubwürdigkeit in Fragen persönlicher Freiheit. Marzouki war einst Vorsitzender der tunesischen Menschenrechtsliga, 2001 wurde seine zentristische Partei verboten, Marzouki floh ins Ausland. Wenige Tage nach dem Sturz Präsident Zine el-Abidine Ben Alis am 14. Januar kehrte er aus Frankreich zurück - nach zehn Jahren als erster prominenter Rückkehrer unter Tunesiens Dissidenten. Seine CPR ist der überraschende Zweite, und Marzouki, der eine Kandidatur auf das höchste Staatsamt schon in jenen aufgewühlten Januartagen nicht ausgeschlossen hatte und - anders als andere säkulare Parteiführer - eine Allianz mit den Islamisten nie ausgeschlossen hatte, wird nun als möglicher Präsident gehandelt.

Die neue Verfassung muss erst noch geschrieben werden. Eine Annahme durch das Volk wird möglicherweise nicht vor Ende nächsten Jahres erfolgen. Während der Übergangszeit wird der Präsident eher nicht die wichtigste Person sein, eher der Premierminister. Auf die Besetzung des Amtes hatte En-Nahda schon vor den Wahlen im Falle eines Sieges Anspruch erhoben. Nun hat sie ihren Generalsekretär Hamadi Jebali als Übergangs-Regierungschef präsentiert. Der 63-Jährige ist ein Nahda-Mann seit den 80er Jahren, er war Chefredakteur der Parteizeitung und hatte lange im Gefängnis gesessen, dabei Jahre in Einzelhaft.

Freiheit der Religion und Frauenrechte

Nun nannte er seine Ernennung einen "natürlich Schritt" und tat in ersten Auftritten, was En-Nahda seit Wochen tut: Er versuchte, Bedenken zu zerstreuen. Wie immer betonte er, "dass wir keine Verfassung einführen werden, die die Rechte und Freiheiten des Individuums einschränken, dies gilt auch für die Freiheit der Religion und die Frauenrechte."

Polygamie solle weiterhin verboten sein, kein Kopftuchzwang solle eingeführt werden, Frauen bleibe der Zugang zum Arbeitsmarkt offen: "Die Idee, dass Frauen arbeiten, ist wichtig und schafft einen gesellschaftlichen Wert", so Jebali. Auch Tunesiens Tourismusindustrie, die seit der Revolution und dem Krieg im benachbarten Libyen am Boden liegt, müsse sich keine Sorgen machen.

Anders als in früheren Aussagen der Islamisten, in denen von einem Alkoholverbot und Zutrittsverbot für Frauen an öffentlichen Stränden die Rede war, sagte Jebali nun, der Tourismus sei "eine Leistung" Tunesiens, die "anzugreifen" keinen Sinn habe, schließlich gehe es um "persönliche Freiheiten von Ausländern und Tunesiern". Ein islamisches Bankensystem - in Libyen gerade in Aussicht gestellt - komme für Tunesien ebensowenig in Frage wie andere Einschränkungen der Wirtschaft, die in dem kleinen Magrebstaat aufs Engste mit Europa verflochten ist.

En-Nahda wird möglicherweise auch Anspruch auf das Amt des Sprechers im Übergangsparlament erheben. Neben Marzouki ist als Präsident der derzeitige Premier Beji Caid Essebsi denkbar, aber auch Mustapha Ben Jafaar, Chef der sozialdemokratischen Ettakatul-Partei. Die politisch ähnlich gelagerte PDP von Ahmed Najeb Chebbi hatte nach einem harten Wahlkampf gegen die Islamisten enttäuschend abgeschnitten und kündigt den Gang in die Opposition an. So oder so werden sich die Islamisten mit den Säkularen bei der Schaffung einer neuen Verfassung arrangieren müssen.

© SZ vom 28.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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