Tüten-Verbot:Weggepackt

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Die Plastiktüte war ein treuer Begleiter in den vergangenen Jahrzehnten. Jetzt ist ihr Ende besiegelt.

Von Vivien Timmler, München

Die Plastiktüte ist ein zäher Gegner. Fast viereinhalb Jahre ist es her, dass Politik und Handel zum ersten Schlag gegen sie ausholten. Nun gut, der Beschluss, die Tüte von Juni 2016 an nur noch gegen ein paar Cent an der Kasse herauszugeben, war eher Watsche als Kinnhaken. Aber die Tüte taumelte, ihr Image litt, ihre Fans schwanden. Und das selbst im Ruhrgebiet.

Der Pott: Wohl kaum irgendwo war der Griff zur Plastiktüte so selbstverständlich wie hier. Gäbe es Regionalstatistiken zum Plastiktütenabsatz, mit hoher Wahrscheinlichkeit würden sie belegen, was sich einem Kind der Neunziger hier einbrannte: Die Plastiktüte ist die Lösung für alles.

Gut gehütet im Küchenschrank (geknüllt oder gefaltet, das war die Frage), war die Plastiktüte immer zur Stelle, wenn es als Kind mal brenzlig wurde. Die Tupperbox mit Erbsensuppe droht auszulaufen? Schnell 'ne Tüte drum! Der halbe Kunstrasen klebt schon wieder an den Fußballschuhen? Schnell rein in die Tüte! Der erste Schnee, aber der Schlitten ist noch im Keller? Schnell 'ne Plastiktüte unter den Po!

Ja, die Plastiktüte, sie war so vielseitig. Unvergessen auch die Tütentüten - Tüten, die nur dazu da waren, andere Tüten durch die Gegend zu tragen - und die Buchtüten, die Bücher zu Tütenbüchern machten. Gleichzeitig war die Plastiktüte immer schon ein Symbol: erst des Aufschwungs, dann des Kommerzes, dann der Unterschicht. Das der Umweltsünde wird wohl ihr letztes sein.

Denn mittlerweile ist klar: Die Plastiktüte hat den Kampf verloren. Der Bundestag hat ihr Verbot beschlossen, endgültig. Vom 1. Januar 2022 an dürfen Kassiererinnen und Kassierer in Supermärkten keine Plastiktüten mehr herausgeben. Zu ihrer Hochzeit, im Jahr 2016, waren es jährlich fast sechs Milliarden.

Immerhin hat die Handelslobby der Tüte noch eine Übergangsfrist verschafft: Schließlich müsse man all die gehorteten Plastiktüten noch verkaufen, heißt es. Die Plastiklobby - mal mehr, mal weniger im Clinch mit der Handelslobby - freut sich: Sie darf 2021 noch einmal Jubiläum feiern. 60 Jahre ist es dann her, dass die ersten Plastiktüten in Deutschland ausgegeben wurden. Nicht im Ruhrpott, sondern nebenan im Rheinland, genauer gesagt im Kaufhaus Horten in Neuss. Plastiktüten verbinden eben.

Nach dem Jubiläum ist dann aber wirklich Schluss. Das ist an und für sich natürlich vollkommen richtig: Hergestellt aus Erdöl und so billig, dass sie oft ein zweites Leben als Müllbeutel fristen und letztlich verbrannt werden, ist ihre Ökobilanz katastrophal. In einer Welt mit Biogemüse, Elektroautos und Ökostrom hat so was keinen Platz. Übrigens genauso wenig wie die Papiertüte, deren Umweltbilanz noch schlechter ist - aber die darf bleiben.

Für die Kinder der 2020er ist das bitter. Sie werden sich ständig rechtfertigen müssen, warum die Erbsensuppe und der halbe Kunstrasenplatz im Rucksack eine zweifelhafte Symbiose eingegangen sind. Und Rodeln muss man auf Papiertüten gar nicht erst versuchen. Aber Schnee im Ruhrgebiet, das gibt es ohnehin nicht mehr. Und wenn doch, einfach heimlich die Tiefkühl-Tüten ausleihen - die waren früher schon die besten.

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