Türkei:Zweifel am Rechtsstaat

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Menschenrechtler Peter Steudtner wurde im Oktober 2017 freigelassen. (Foto: Emrah Gurel/AP)

Prozesse gegen Dissidenten in der Türkei werden wieder vertagt - der Fall des Deutschen Peter Steudtner ist somit auch zwei Jahre nach dessen Freilassung nicht entschieden.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Ahmet Altan, einer der bekanntesten Schriftsteller der Türkei, schleuderte seinem Richter entgegen: "Bravo! Sperrt sie alle ein. Das ist eure Zeit." Altan glaubte schon damals, im Februar 2018, nicht mehr an einen Rechtsstaat in der Türkei. Der Dichter dürfte sich nun bestätigt fühlen. Am Dienstag entschied ein Gericht in Istanbul, dass der 68-jährige Altan in Haft bleiben muss, obwohl ein Berufungsgericht im Juli das ursprüngliche Urteil gegen ihn aufgehoben hat. Es fand keinen Beweis, dass Altan die verfassungsgemäße Ordnung der Türkei stürzen wollte, als er vor dem Putschversuch von 2016 sinngemäß sagte, auch die Macht der AKP von Recep Tayyip Erdoğan sei endlich. Altan ist der diesjährige Empfänger des Geschwister-Scholl-Preises. Zur Verleihung der Auszeichnung am 25. November in München wird er aber nicht erscheinen können, da er weiter im Gefängnis sitzen muss.

Ebenfalls am Dienstagabend entschied ein Gericht im Hochsicherheitsgefängnis von Silivri bei Istanbul, dass Osman Kavala, einer der aktivsten Kulturmäzene der Türkei, "wegen Fluchtgefahr" nach fast zwei Jahren Untersuchungshaft nicht freikommt. Kavala ist zusammen mit 15 Professoren, Schauspielern und Architekten wegen der Gezi-Proteste im Jahr 2013 angeklagt, diese werden von der Staatsanwaltschaft als "Umsturzversuch" gewertet. Kavala ist als einziger in Haft. Bislang gab es drei Verhandlungen und jedes Mal einen anderen Vorsitzenden Richter.

Der letzte sei abgelöst worden, so Kavalas Anwälte, "weil er für eine Freilassung des Angeklagten stimmte". Von Rechtsstaatlichkeit könne man da nicht mehr sprechen, so Tolga Aytöre, einer der Anwälte am Mittwoch auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz in Istanbul. "Ich habe keine Hoffnung mehr", so der Jurist.

Die Anklage wirft dem Unternehmer vor, er habe die Gezi-Proteste bezahlt

"Es ist schwer, wenn man kein Vertrauen mehr in die Justiz hat", sagte auch Kavalas Ehefrau, die Wirtschaftswissenschaftlerin Ayşe Buğra auf der Veranstaltung. Sie hatte sich bislang mit öffentlichen Auftritten und Äußerungen zurückgehalten. Buğra sagte, "es ist sehr hart für die ganze Familie", ihr Mann habe eine über 90-jährige Mutter, "die auf ihren Sohn wartet". Der Anwalt Turgut Kazan, 79, der in der Türkei sehr bekannt ist, sagte: "Kavala ist eine Geisel." In der Türkei gebe es "kein Recht".

Kavalas Kulturstiftung war lange Partner des Goethe-Instituts und anderer internationaler Institutionen. Sie finanzierte ein armenisch-türkisches Jugendorchester, kurdische Künstler, Filmfestivals und Ausstellungen. Die Anklage wirft dem Unternehmer vor, er habe die Gezi-Proteste bezahlt. Der 62-Jährige bestreitet dies. Anwalt Kazan sagte, für andere prominente "Geiseln" in der Türkei hätten sich sogar die deutsche Bundeskanzlerin und der US-Präsident eingesetzt.

Damit meinte Kazan den amerikanischen Priester Andrew Brunson, der vor einem Jahr nach längerer Haft freikam, und die Deutschen Deniz Yücel und Peter Steudtner. Für den Journalisten Yücel und den Menschenrechtler Steudtner hatte unter anderem Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder bei Erdoğan interveniert. Der Prozess gegen Yücel wird nun nächste Woche Donnerstag fortgesetzt. Dessen einjährige Haft hatte das türkische Verfassungsgericht im Sommer im Nachhinein für rechtswidrig erklärt. Dass dies für untere Gerichte wegweisend wäre, kann man allerdings nicht mehr sagen. Der inzwischen wieder in Deutschland lebende Yücel könnte keineswegs sicher sein, nicht wieder inhaftiert zu werden. Er bleibt lieber weg - und liest am selben Tag in Frankfurt aus seinem neuen Buch.

Ferngeblieben ist auch Peter Steudtner seinem Prozess am Mittwoch. Er war im Juli 2017 auf der Insel Büyükada im Marmarameer vor Istanbul bei einem Seminar festgenommen worden und saß drei Monate in Untersuchungshaft. Am ersten Prozesstag wurde er auf freien Fuß gesetzt und durfte das Land verlassen. Das Verfahren gegen ihn und zehn weitere Teilnehmer des Seminars wegen angeblicher "Terrorunterstützung" geht weiter, es wurde nun aber gleich wieder vertagt. Begründung: Der Staatsanwalt wurde ausgetauscht, und der neue müsse sich einarbeiten. Fortsetzung ist am 27. November. Der Prozess gegen Osman Kavala wird am 24. Dezember weitergehen.

© SZ vom 10.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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