Türkei:Vor dem Fall

Wandel in der Wirtschaft allein wird dem Land nicht reichen.

Von Christiane Schlötzer

Die Zeit des Megawachstums ist vorbei, weg mit den Siebenmeilenstiefeln, die Türkei will kein Übermorgenland mehr sein. Bescheidenheit ist die neue türkische Tugend. So hat es Finanzminister Berat Albayrak verkündet - erst in Istanbul, nun in Berlin. Dorthin eilte Albayrak seinem Schwiegervater Recep Tayyip Erdoğan am Freitag voraus, um schon mal zu versichern, der Türkei sei es ernst mit dem Neuanfang. Ankara bleibt auch gar nichts anderes übrig, als zu sparen, die Lira schwankt und stürzt, ohne frisches Geld geht es immer weiter abwärts.

Aber Investoren suchen Sicherheit und Vertrauen, und dieses Kapital hat die Türkei verspielt. Was könnte da helfen? Als der prominente Oppositionsabgeordnete Enis Berberoğlu am Donnerstag ein Gefängnis in Istanbul verlassen durfte, zog die Lira an. Gibt es noch einen besseren Beleg dafür, wie die Türkei sich selbst helfen könnte? Wichtiger als Powerpoint-Präsentationen neuer Wirtschaftsprogramme wäre eine Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit.

Bisweilen gibt es schon mal einen Lichtstreifen am Horizont, wie im Fall Berberoğlu. Aber neben wenig Licht findet sich viel Schatten. Immer noch werden in der Türkei Menschen ohne Anklage lange weggesperrt, wie zum Beispiel schon fast ein Jahr der Unternehmer und auch in Berlin bekannte Kulturmäzen Osman Kavala. Albayrak hat seine Politik jetzt unter den Titel gestellt: Ausgleich, Disziplin, Wandel. Zu hoffen ist, dass er damit nicht nur die Staatsfinanzen meint.

© SZ vom 22.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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