Türkei:Prestigeprojekt ohne Plan B

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Die Polizei nahm am Samstag Hunderte Arbeiter fest - und später auch Demonstranten, die sich mit den Streikenden solidarisierten. (Foto: Bulent Kilic/AFP)

Schon in wenigen Wochen soll der neue Istanbuler Großflughafen eröffnen, ein Prestigeprojekt von Präsident Erdoğan. Doch Streiks von Tausenden Arbeitern gegen schlechte Arbeitsbedingungen gefährden den engen Zeitplan.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Von Kemal Atatürk stammt der Satz: "Die Zukunft liegt im Himmel." Der türkische Republikgründer war ein Laizist, ums Seelenheil ging es ihm mit diesem Spruch also nicht, sondern um die Fliegerei. Eine seiner acht Adoptivtöchter war die erste Kampfpilotin der Welt: Sabiha Gökçen. Nach ihr ist in Istanbul der zweite, kleinere Flughafen benannt. Der große trägt - natürlich - den Namen Atatürks. Nur: Der Istanbuler Atatürk-Flughafen ist schon Geschichte.

Am 29. Oktober, dem Nationalfeiertag, soll der neue Istanbuler Airport eröffnet werden. Er liegt am Schwarzen Meer, und damit am entgegengesetzten Ende der Stadt, vom Atatürk-Flughafen aus betrachtet. Auf dem war es zuletzt so eng, dass die Flügelspitzen der geparkten Maschinen sich fast berührten. "Atatürk" wird geschlossen, und zwar ziemlich rasch, ein Park soll auf dem Gelände entstehen.

Alle Passagiermaschinen sollen schon ab 1. November auf dem neuen Airport starten und landen. Davor liegt noch eine logistische Megaaufgabe: ein zweitägiger Umzug auf Tausenden Lastwagen. 48 Stunden könnten internationale Linien keinen der beiden Airports anfliegen, für Turkish Airlines, so die Zeitung Milliyet, sei nur eine Pause von zwölf Stunden vorgesehen. Für Istanbul-Reisende bleibt als Ausweichairport dann nur Sabiha Gökçen, auf der asiatischen Seite der Stadt. Von einer Schließung dort ist keine Rede.

Am Wochenende protestierten die Arbeiter gegen schlechtes Essen und verspätete Bezahlung

Angeblich gibt es keinen Plan B, falls etwas mit dem Zeitplan schiefgeht. Am vergangenen Freitag und Samstag haben auf der Baustelle Tausende Arbeiter gestreikt, Hunderte wurden festgenommen, 126 waren nach Angaben des Istanbuler Gouverneurs Vasip Şahin am Montag noch in Haft. Die linke, regierungskritische Baugewerkschaft Dev-Yapı-Iș beklagt die schlechten Arbeitsbedingungen; der Proteste richtete sich gegen schlechtes Essen, Bettwanzen, verspätete Bezahlung und den hohen Zeitdruck. Immer wieder wurden Arbeitsunfälle bekannt, die Gewerkschaft zählte 37 Tote seit dem Baubeginn vor etwa vier Jahren, der Verkehrsminister sprach im Februar von 27. Dabei hätten nur 13 tödliche Unfälle in Zusammenhang mit der Baustelle gestanden, die anderen Arbeiter seien krank gewesen, so der Minister.

Der Flughafen ist eines der großen Prestigeprojekte von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Mit 200 Millionen Passagieren pro Jahr wird in Zukunft gerechnet, damit wäre Istanbul das größte Luftfahrtdrehkreuz der Welt. Am Anfang sollen es erst mal 90 Millionen sein, bis 2023 dann 150 Millionen. 2023 wird die Republik 100 Jahre alt, deshalb ist das Datum eine wichtige Zielmarke.

Nur: Wie soll der Airport denn nun heißen? "Atatürk", das sei doch selbstverständlich, sagt die republikanische Oppositionspartei CHP, die es zu ihrem Programm gemacht hat, das Erbe des Staatsgründers zu bewahren. Alpay Antmen, CHP-Abgeordneter aus der Stadt Mersin, erinnerte an den türkischen Unabhängigkeitskrieg vor fast 100 Jahren und sagte: "Atatürk schenkte uns nicht nur auf dem Land und den Meeren, sondern auch in der Luft Freiheit und Unabhängigkeit." Hätte die Türkei damals den Krieg gegen Griechenland verloren, "bräuchten wir jetzt ein Visum, um unseren Flughafen zu erreichen".

Eine Journalistin der Webseite Habertürk hatte vor einer Woche einen Twittersturm ausgelöst, als sie behauptete, sie wisse aus sicherer Quelle, der neue Flughafen werde nach Abdülhamid II. benannt, der von August 1876 bis April 1909 Sultan des Osmanischen Reiches war. Das wäre pikant, falls jemand in dieser Namensgebung Bezüge zur heutigen Situation suchen sollte. Der Sultan herrschte autoritär an seinen Ministern vorbei, er baute ein Zensur- und Spionagesystem auf, ein Staatsbankrott zwang ihn, fremder Kontrolle über die Staatsschulden zuzustimmen. Die Journalistin löschte ihren Tweet rasch wieder und schrieb: Sorry.

Danach sagte der Direktor der Flughafenverwaltung, Kadri Samsunlu, der Name werde nach einem "weltweiten" Findungsprozess und nach Beratungen mit den "verantwortlichen Stellen" beschlossen und erst zur Eröffnung bekanntgegeben. Der frühere Verkehrsminister Ahmet Arslan, er war bis Juli im Amt, hätte wiederum schon eine Idee: "Warum sollte der Name des Flughafens nicht Recep Tayyip Erdoğan sein?"

© SZ vom 18.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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