Türkei:Lasst uns wieder Freunde sein

Lesezeit: 2 min

Neustart in Ankara: Bundesaußenminister Heiko Maas beim Stimmungstest in der Türkei. (Foto: Felix Zahn/imago)

In Ankara hört Bundesaußenminister Heiko Maas freundliche Töne: Angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage und dem Präsidentschaftswechsel in den USA sucht die Türkei Europas Nähe - und will auch wieder mit Griechenland im Mittelmeerstreit verhandeln.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Wie kurz das öffentliche Gedächtnis in der Politik ist, zeigt sich im Verhältnis Europas zur Türkei. Einst galt der heutige Staatschef Recep Tayyip Erdoğan als Muster-Europäer, der sein Land rasch in die EU führen wollte, das war Anfang der Zweitausender. Später wurde er zu einer Art von "Gott-sei-bei-uns"-Schreckensgestalt: Erdoğan führt im Nahen Osten Kriege, sympathisiert mit den Hamas-Palästinensern und den Muslimbrüdern, betreibt im Mittelmeer Kanonenboot-Politik im Streit mit den Nachbarn Griechenland und Zypern. Im eigenen Land herrscht er immer repressiver, die Rechtsstaatlichkeit wird konsequent ausgehöhlt, die Türkei missachtet sogar bindende Urteile europäischer Gerichtshöfe.

Jetzt setzt der Mann in Ankara wieder auf Annäherung an die EU. Vorausgegangen war eine mehrwöchige Charmeoffensive, die Ende 2020 in dem Satz des in den letzten Jahren extrem europakritischen türkischen Staatsoberhaupts gipfelte: "Wir sehen uns nicht woanders, sondern in Europa, und wir stellen uns vor, unsere Zukunft mit Europa zusammen aufzubauen."

Gespräche bieten laut Maas eine "reelle Chance", die Dauerkrise beizulegen

Offenbar stößt das bei den Adressaten auf Zustimmung. Der deutsche Außenminister Heiko Maas besuchte am Montag Ankara, am Donnerstag fliegt dann sein türkischer Kollege Mevlüt Çavuşoğlu nach Brüssel, gegen Monatsende sollen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratschef Charles Michel die Türkei besuchen. Auch Frankreich, das im Mittelmeerstreit sehr offensiv gegen die Türkei aufgetreten war, scheint einzulenken: Die beiden Staatspräsidenten tauschten jüngst Briefe aus. Das alles klingt fast schon nach baldigem Tauwetter Europas im Verhältnis zur Türkei.

Besonders hoch angerechnet wird Ankara von der EU und Berlin, dass Türken und Griechen am 25. Januar ihre "Erkundungsgespräche" wieder aufnehmen werden, um ihre Gas-und Grenzstreitigkeiten im Mittelmeer diplomatisch zu lösen. Die türkisch-griechischen Annäherungsgespräche laufen allerdings schon seit 2002, sie wurden 2016 nach 60 Runden ausgesetzt. Maas hatte vor dem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen gesagt, dass die Wiederaufnahme der türkisch-griechischen Gespräche eine "reelle Chance" böte, die Dauerkrise beizulegen. Nun sagte er, er wünsche sich, "dass die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei besser werden, vertieft werden, alle Möglichkeiten und Potenziale genutzt werden". Auch Çavuşoğlu sprach von einer "positiven Atmosphäre" bei dem Treffen. Die Beziehungen zu der EU hätten sich verbessert. Er warf Griechenland aber erneut vor, die Türkei mit Marine-Manövern zu provozieren. Strafmaßnahmen fürchte Ankara nicht: "Wir sind kein Land, das sich vor Sanktionen fürchtet."

Die Präsidentschaft Bidens dürfte für Erdoğan unangenehm werden

Maas jedenfalls attestierte der Türkei, dass sie Signale der Entspannung im Mittelmeerstreit sende. Im vergangenen Jahr wäre der Konflikt fast militärisch eskaliert: Athen warf Ankara vor, in Gebieten nach Erdgas zu suchen, die nach internationalem Seerecht nur von Griechenland ausgebeutet werden dürften. Nach Lesart Ankaras gehören diese Gebiete hingegen zum türkischen Festlandsockel. Beide Seiten schickten Kriegsschiffe, Frankreich mischte sich ein, die EU verhängte Sanktionen gegen Einzelpersonen in der Türkei. Berlin hingegen versucht seit Monaten zwischen Ankara und Athen zu vermitteln. Man darf also gespannt sein, wie viel Erfolg Erdoğans angebliches oder echtes Umschwenken in Richtung Europa nun hat. Der Hauptgrund für die neuen Töne aus Ankara dürfte sein, dass Erdoğan unter Druck steht. Die Wirtschaftslage ist miserabel, die Rede ist von Stagflation. Die Währungsreserven sind aufgezehrt, es fehlen ausländische Investoren, die Bevölkerung könnte wegen steigender Preise bald murren.

Zudem endet die Präsidentschaft von Donald Trump. Mit Trump kam Erdoğan bestens zurecht, mit Nachfolger Joe Biden dürfte es schwieriger werden. Wegen der Anschaffung russischer S-400-Luftabwehrraketen verhängten die USA Sanktionen, die Biden zügig umsetzen könnte. Aus seiner Zeit als Vizepräsident Barak Obamas kennt er Erdoğan, Anfang 2020 hatte er in einem TV-Gespräch gesagt, dass Washington die Nähe zur türkischen Opposition suchen solle. Er selbst wolle Erdoğan von der Bühne abtreten sehen, "aber nicht durch einen Putsch, sondern durch Wahlen". Das alles gibt Erdoğan Grund, nach Freunden Ausschau zu halten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: