Trittbrettfahrer nach Amoklauf:"Heute um 17 Uhr soll wieder was sein"

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Am Olympia-Einkaufszentrum in München liegen auch Monate nach dem Amoklauf noch Blumen und Stofftiere. (Foto: Florian Peljak)

Nach dem Amoklauf in München ermitteln die Behörden gegen drei Dutzend Personen, die weitere Straftaten angekündigt haben, um sich einen Kick zu verschaffen. Die schlechten Scherze kommen bei der Polizei überhaupt nicht gut an.

Von Bernd Kastner, München

Die Botschaften waren alarmierend: "Kann jemand eine Schusswaffe besorgen? Es wird bald einen zweiten Amoklauf geben." Oder: "Heute um 17 Uhr soll wieder was sein. Also macht euch bereit!!"

Es waren die Stunden und Tage nach dem Amoklauf von München am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) am 22. Juli, in denen diese Ankündigungen bei der Polizei landeten. Gut drei Monate später lässt sich Zwischenbilanz ziehen: Etwa drei Dutzend Ermittlungsverfahren gegen Trittbrettfahrer sind und waren bei der Staatsanwaltschaft München I anhängig, sieben Anklagen und Strafbefehle sind fertig, ein Strafbefehl ist bereits rechtskräftig.

Weil "Trittbrettfahrer" keine juristische Kategorie ist, lauten die Vorwürfe im Justiz-Deutsch "Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung einer Straftat" (Paragraf 126 Strafgesetzbuch) oder "Bedrohung" (Paragraf 241). In etwa zehn Fällen wird noch gegen unbekannt ermittelt.

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Eine exakte Statistik zu Trittbrettfahrern gebe es nicht, sagt Florian Weinzierl, Sprecher der Münchner Staatsanwaltschaft. Auch sei nicht auszuschließen, dass an anderen Orten weitere Verfahren laufen.

Die mutmaßlichen Täter sind meist Jugendliche oder junge Erwachsene, fast immer männlich, oft mit Migrationshintergrund, bislang weitgehend polizeilich unauffällig - und sie bereuen ihr Tun. Dieses Muster kristallisiere sich zwar heraus, sagt Weinzierl, die absoluten Fallzahlen seien aber zu gering, um zu generalisieren.

Botschaft auf dem Internetportal der Polizei

Übers Internet wurden viele, aber längst nicht alle Drohungen verbreitet: Mal wurde im Netz ein weiterer Amoklauf angekündigt ("Ich plane Attentat so wie im OEZ."), mal mit dem Handy der Eltern ein "Streich" gespielt.

Ein Jugendlicher hinterließ einen Tag nach dem Amoklauf seine Botschaft direkt auf dem Internetportal der Münchner Polizei. Ein anderer, Ende 40, postete auf Facebook in Anspielung auf den norwegischen Massenmörder: "Ohne jede Gnade. Heil dir Breivik." Im Gespräch mit seinem Lehrer kündigte ein Schüler eine Tat wie am OEZ an.

Eineinhalb Wochen nach dem Amoklauf lief ein Mann mit einer Waffe durch ein Einkaufszentrum in Unterschleißheim bei München. Nach dem Großeinsatz stand die Erkenntnis: Der Mann war stark betrunken, bei sich trug er eine Softairpistole.

Die Fahnder rücken in großer Zahl an und stellen die Wohnung auf den Kopf

Auch wenn am Ende nirgends etwas passierte, Polizei und Justiz verstehen keinen Spaß bei diesem Thema: "Das bindet Kräfte", sagt Weinzierl.

In der Amoknacht selbst seien neun entsprechende Ankündigungen eingegangen. Die Polizei stand vor der schwierigen Aufgabe, die Nachrichten zu sortieren: Sind weitere Täter unterwegs? Wer hält in echter Sorge einen lauten Knall für einen Schuss? Wer macht einen schlechten Scherz?

Auch in den Tagen und Wochen danach meldeten sich Trittbrettfahrer. In dieser Zeit liefen im Hintergrund noch intensive Ermittlungen, um das Umfeld des OEZ-Schützen auszuleuchten. Diese Arbeit sei erschwert worden.

Spätestens als die Polizei vor ihrer Tür stand, dürften die Trittbrettfahrer erkannt haben, dass ihr Tun keine gute Idee war: Immer seien die Fahnder in größerer Zahl angerückt und hätten die Wohnungen auf den Kopf gestellt, um nach Waffen zu suchen. Gefunden wurde keine.

Zum Ärger mit der Justiz kommt womöglich noch der größere mit der Familie

Der Effekt, hofft Weinzierl, dürfte dennoch groß gewesen sein: Wohnt ein Jugendlicher noch bei den Eltern, die fassungslos zuschauen müssen, wie fremde Menschen in Uniform jeden Winkel durchstöbern und Kleiderschränke ausräumen, kommt zum Ärger mit der Justiz der womöglich noch größere in der Familie. Wenn Staatsanwalt Weinzierl von einem "nachhaltigen Schock" spricht, dann formuliert er auch eine Hoffnung: Dass diese Erfahrung der schnellen und massiven Polizeireaktion den Trittbrettfahrern eine Lehre sein möge.

Die mutmaßlichen Täter hätten schnell kapiert, welchen Mist sie gebaut haben, berichtet Weinzierl. Weil alle mit den Ermittlern kooperiert und ihnen das Handy überlassen hätten, seien keine zeitraubenden technischen Auswertungen durch ein Spezialkommissariat nötig gewesen.

So seien die meisten Ermittlungen nach gut drei Monaten abgeschlossen. Ein Großteil der Verfahren dürfte recht leise beendet werden: Prozesse vor dem Jugendgericht sind nicht öffentlich. Und wenn ein Täter den Strafbefehl akzeptiert, muss er nicht im Gericht erscheinen. In einem Fall ist dies laut Weinzierl bereits geschehen: Geldstrafe, 40 Tagessätze.

© SZ vom 14.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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