Treffen der Präsidenten:Eine Umarmung, die erdrückt

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Taiwan und China sind sich heute näher denn je. Das Spitzentreffen der Staatsoberhäupter könnte die beiden nun entfremden.

Von Kai Strittmatter

Das Treffen soll 20 Minuten dauern, melden Zeitungen in Taiwan. Die beiden werden sich die Hände schütteln. Und danach gemeinsam zu Abend essen. Anreden werden sie sich nicht als "Herr Präsident", sondern schlicht als "Herr". So ist das, wenn Herr Xi Jinping und Herr Ma Ying-jeou am kommenden Samstag in Singapur aufeinandertreffen. Dass der eine der amtierende Präsident der Volksrepublik China und der andere Präsident der Republik China ist, die vorübergehend nur Taiwan umfasst, das werden beide für den Verlauf des Treffens offiziell übersehen. Weil in der Welt des einen die Republik des jeweils anderen gar nicht existieren darf. Es gibt nämlich nur ein China, daraufhin immerhin, können beide sich einigen. Die höfliche Anrede mit "Herr" sei ein "praktisches Arrangement", schreibt die Pekinger Nachrichtenagentur Xinhua, ein Arrangement das "den Geist des gegenseitigen Respektes" feiere.

Das Treffen ist ein historisches. Für den bisher letzten Händedruck muss man bis ins Jahr 1945 zurückgehen. Damals trafen sich die Führer jener beiden Lager, die um die Zukunft Chinas rangen: Chiang Kai-shek für die nationalistische Kuomintang (KMT) und Mao Zedong für die Kommunistische Partei Chinas. Todfeinde. Bürgerkriegsgegner. Bis heute gibt es keinen Friedensvertrag zwischen den beiden Seiten. Die ungelöste Wiedervereinigungsfrage ist einer der gefährlichsten Konfliktherde Ostasiens. Wenn beide Seiten miteinander reden, auf oberster Ebene dazu, kann das also gar nicht schlecht sein. Und doch ist am Ende nicht ausgeschlossen, dass das Treffen sich als Nullnummer erweist.

Seit dem Jahr 2008 gibt es einen Austausch, der früher undenkbar war

Es gab in den vergangenen Jahrzehnten zwei große, teils widersprüchliche Entwicklungen im Verhältnis Taiwans zu China. Die eine machte beide Seiten einander immer fremder. Das war die friedliche Demokratisierung Taiwans, die in den zurückliegenden drei Jahrzehnten eine rechte Diktatur in eine lebendige, streitlustige Demokratie verwandelte, eine spektakuläre Erfolgsgeschichte. Die andere Entwicklung brachte eine zunehmende Verflechtung. Das war der spektakuläre Erfolg der anderen Seite, der Wirtschaftsboom Chinas, der aus einem armen, unterentwickelten Land ein mächtiges Reich machte, das mit einem Mal Verlockungen zu bieten hat, denen Taiwan nur schwer zu widerstehen vermag.

Kriegssieger Mao auf einem milliardenfach gedruckten Plakatmotiv. (Foto: Fototeca/Leemage)

Es hat sich viel getan zwischen China und Taiwan. Die Wiedervereinigung aber bleibt wie eh und je das Mantra der KP-Führer in Peking. Mehr als 1000 Raketen haben ihre Truppen auf die Insel gerichtet. Seit ein paar Jahren setzen die KP-Führer offenbar darauf, Taiwan stattdessen zu kaufen, also umgarnen sie die Insel wirtschaftlich. In Präsident Ma Ying-jeou, der 2008 erstmals zum Präsidenten Taiwans gewählt wurde, fanden sie einen Partner, der bereit war, Taiwan so weit zu öffnen für den Austausch von Gütern, Investitionen und Menschen wie kein anderer zuvor. Die Jahre seit 2008 zeigen eine beispiellose Annäherung. Mit einem Mal gab es Dinge, die zuvor undenkbar waren: Direktflüge, chinesische Studenten an Taiwans Universitäten und mehr als zwei Millionen chinesische Touristen im Jahr, die Taiwan besuchen. Taiwans Geschäftsleute waren früh wichtige Investoren auf dem Festland, heute leben zwei Millionen von ihnen in China.

Dabei hat das kleine Taiwan gerade mal 23 Millionen Einwohner, auf jeden von ihnen kommen 60 Festlandschinesen. Vielen Taiwanern geht die Annäherung an das riesige, diktatorisch regierte China viel zu schnell. Der bilaterale Handel beträgt inzwischen 170 Milliarden Dollar im Jahr. Das Kalkül von Präsident Ma Ying-jeou war klar: Chinas Engagement sollte Taiwans Wirtschaft Auftrieb geben und seiner Kuomintang Wählerstimmen verschaffen. Aber Ma und auch Peking scheinen sich verrechnet zu haben. Mit dem Ausmaß der Verflechtung wuchs das Misstrauen der Taiwaner. Die Angst vor den Raketen ist der Angst vor Chinas Kapitalkraft gewichen. Schon heute verhalten sich einflussreiche Taiwaner Medien wie jene des Wantwant-Konzerns wie Sprachrohre Pekings. In Umfragen sprechen sich mittlerweile mehr als 80 Prozent der Taiwaner gegen eine Wiedervereinigung aus.

Peking leiste dem Präsidenten Wahlkampfhilfe, schimpft Taiwans Opposition

Präsident Ma Ying-jeou zahlte für seine Politik, die manche als Ausverkauf begreifen, mit einem beispiellosen Absturz in der Wählergunst. Im vergangenen Jahr besetzten Taiwans Studenten während ihrer "Sonnenblumenrebellion" sogar das Parlament im Protest gegen Mas Politik. Seine Zustimmungsrate liegt heute bei weniger als 20 Prozent. Und er hat nur noch wenig Zeit im Amt, am 16. Januar kommenden Jahres wird gewählt in Taiwan. Fast alle Umfragen sagen der Kandidatin der oppositionellen Demokratischen Fortschrittspartei DFP, Tsai Ing-wen, einen Erdrutschsieg vorher. Die DFP ist über die Jahre pragmatischer geworden, sie hat jedoch ihre Wurzeln in Taiwans Unabhängigkeitsbewegung, Peking beobachtet den Aufstieg der DFP deshalb mit Sorge. Die Kuomintang mag zwar der Erzfeind aus dem Bürgerkrieg sein, aber mit ihr ist man sich immerhin einig darin, dass China wiedervereint werden soll.

Mao Zedong (l.) und Chiang Kai-shek auf einer Festveranstaltung in Chungkin. (Foto: UPI)

So ist der große Verdacht in Taiwan denn auch dieser: Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping will Ma Ying-jeou und seiner KMT mit dem historischen Fototermin am Samstag Wahlkampfhilfe leisten. Präsident Mas Team versichert zwar, es werde keinerlei Abkommen geben am Samstag. Das aber beruhigt die aufgebrachten Kritiker zu Hause nicht, die Aufregung war groß am Mittwoch: Taiwans Opposition erregt sich über den scheidenden Präsidenten Ma, der nur mehr als "lahme Ente" regiere, ohne jeden Rückhalt im Volk, und der sich nun in einem "furchterregenden Vorstoß" erdreiste, mit Taiwans Schicksal zu spielen, einzig und allein, um sich selbst einen Platz in den Geschichtsbüchern zu sichern.

"Mas Verzweiflung gibt China alle Hebel in die Hand", schreibt auch der Politologe Nathan Batto von Taiwans Academica Sinica in seinem Blog. Batto kommt dann allerdings zu einer Schlussfolgerung, die man am Mittwoch öfter hören konnte. Das Treffen könnte sich am Ende als schädlich herausstellen für Ma - und der oppositionellen DFP eine Menge zusätzlicher Stimmen bescheren.

© SZ vom 05.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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