Tourismus:Abenteuer mit Vollpension

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Reisende suchen das Unkonventionelle, das aber möglichst bequem. Die Plattform Airbnb vermittelt nun gar Schlösser.

Von Angelika Slavik

Früher gehörte zu einer guten Reise ja vor allem ein ordentlicher Magen-Darm-Virus. Wenn man dann heimkehrte aus dem Pauschalurlaub im All-Inclusive-Hotel, dann hatte man ja schon mal was zu erzählen: Wie schlimm es war. Wie lange es gedauert hat. Und wie man sich selbst kuriert hat mit dem Wodka aus der Mini-Bar. Die Klassiker eben.

Heute ist Reisen so populär wie wahrscheinlich nie zuvor, allerdings beeindruckt man mit Klassikern mittlerweile niemanden mehr, das gilt für Reisekrankheiten wie für Urlaubsziele. Heute heißt die Formel: Je aufregender, unkonventioneller, origineller so ein Urlaub rüberkommt, desto besser. Ein Schloss wäre doch mal was! Oder?

Das Internetportal Airbnb bietet deshalb nun die "spektakulärsten Unterkünfte der Welt" an, wie das Unternehmen verspricht. Man könnte also ein Château in Frankreich mieten oder Charlie Chaplins ehemalige Villa über dem Sunset Boulevard in Los Angeles. Oder gleich eine ganze Insel im Pazifik: Nukutepipi in Französisch-Polynesien ist ein privates Atoll, eigene Zeitzone inklusive. Das ist alles ein bisschen aufregend, aber nicht zu sehr - denn all die spektakulären Unterkünfte sind auch spektakulär zertifiziert. Da gibt es also keine unangenehmen Überraschungen.

Denn mit der Individualität ist das halt so eine Sache. Nur in den wenigsten Menschen stecken echte Abenteurer. Im Zweifel gilt bei vielen dann doch die Prämisse: Eine Garantie, dass da auch keine Mäuse durchs Schloss huschen, bräuchte man bitte schon. Danke. Die Tourismusindustrie versucht deshalb nun zusammenzubringen, was eigentlich nicht zusammengehören kann: Individualität soll zur Massenware werden.

Klingt verrückt? Für die Unternehmen klingt das nach einem verdammt guten Geschäft. Deshalb wollen auch die alten Größen in der Branche diesen Trend nicht verpassen. Die Firma Tui zum Beispiel, eigentlich die Königin der Pauschalreise, setzt neuerdings verstärkt auf die Möglichkeit, Reisen zu individualisieren. Standardprogramm? Also bitte! Aber ein deutschsprachiger Reiseleiter darf's dann schon sein - man weiß ja nie.

Dass Reisen immer aufregender werden muss, liegt auch daran, dass es für immer mehr Menschen heute keine Abwechslung vom Alltag mehr ist, sondern ein Teil davon. Sie sammeln Reiseerinnerungen wie Trophäen, und wie gut ein Urlaub war, misst sich heute auch oft daran, wie die Fotos aussehen, die man nachher auf Facebook oder Instagram posten kann. Aber das heißt natürlich nicht, dass man es unbequem haben will, richtig?

Den Trend zum Abenteuer mit Sicherheitsnetz hat auch jene erfasst, die sich als Speerspitze der Individualreisenden verstehen, die Rucksacktouristen. Die Backpacker-Bibeln des Verlags "Lonely Planet" etwa sind längst Standardwerke geworden. Wer sie dabei hat, muss auch am anderen Ende der Welt nicht fürchten, den schönsten Strand oder den besten Aussichtspunkt zu verpassen. Es war ja schon jemand da, der die Lage sondiert hat. Klingt langweilig? Na ja. Am Ende hat man immer noch die Geschichte vom Magen-Darm-Virus.

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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