Tierseuche:Gefahr im Anflug

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Zuletzt war der Erreger H5N8 vor zwei Jahren mit Zugvögeln nach Europa gekommen. Noch weiß man nicht sehr viel über die Wiederkehr des Virus. Nur eines: Diesmal könnte der Ausbruch bedrohlicher sein.

Von Hanno Charisius

Wenn im Herbst und Frühjahr die Vögel ziehen, reisen auch die Viren - und sie reisen schnell. In den vergangenen zwei Wochen ist das Vogelgrippevirus an vielen Orten in Europa aufgetaucht. In Deutschland ist der Erreger vor gut zehn Tagen gelandet. Vielleicht ist er auch schon länger da. Auffällig wurde er jedenfalls erst, als er an den Plöner Seen in Schleswig-Holstein die ersten Wildvögel tötete. Kurz darauf starben auch am Bodensee Enten und andere Wasservögel. Am Mittwoch wiesen Virologen den Erreger in Niedersachsen nach, der Bezirk Berlin-Mitte ordnete eine Stallpflicht für Geflügel an. Die für das Wochenende geplante Bundesvogelschau in Kassel wurde abgesagt. Noch in dieser Woche will Bundesagrarminister Christian Schmidt eine Eilverordnung in Kraft setzen, die Geflügelbetriebe zu besonderen Sicherheitsmaßnahmen verpflichtet. Ein Versuch, das Virus aufzuhalten. Nordfriesland droht Hobby-Haltern mit Zwangsschlachtung ihrer Vögel, wenn sie sich nicht an die Auflagen halten.

Die Vogelgrippe hat viele Namen: H5N1, H7N9 oder auch H5N8. Namensgebend sind Bauteile auf der Oberfläche der Viren, die den Erregern ihre besonderen Eigenschaften geben. Hinter jeder Zahlen-Buchstaben-Kombination steht ein anderes Influenzavirus. Manche können dem Menschen gefährlich werden. H5N1 hat laut Daten der Weltgesundheitsorganisation seit dem Jahr 2003 immerhin 856 Menschen infiziert, 452 starben. Zum Glück ist die Ansteckungsgefahr bei diesem Virustyp sehr gering. In dieser Saison heißt die Vogelgrippe H5N8. Menschen hat diese Variante bislang nie befallen, jedenfalls wissen die Seuchenschützer davon nichts.

"Das stellt eine große Gefahr dar": Noch ist nicht klar, welche Vogelarten besonders anfällig sind für das Virus - hier Wildenten am Bodensee. (Foto: Felix Kästle/dpa)

Die deutschen Geflügelhalter kennen H5N8 seit zwei Jahren. Im Herbst 2014 stattete dieser Typ Europa seinen ersten verheerenden Besuch ab. Virologen rätselten wochenlang, wie das Virus den Weg nach Deutschland gefunden hatte, denn tote Wildvögel hatte man zu Beginn des Ausbruchs nicht gefunden. Erst vor einigen Wochen veröffentlichte ein internationales Forscherkonsortium die genaue Reiseroute des Erregers im Fachblatt Science. Demnach tauchte der Erreger im April 2014 in Südkorea auf und verbreitete sich innerhalb weniger Monate fast auf dem gesamten Erdball aus. Die Wissenschaftler argumentieren in ihrem Aufsatz, dass wahrscheinlich Zugvögel, die sich zwar infiziert hatten, aber nicht erkrankten, den Erreger über weite Strecken transportierten, von Asien über Russland und die Arktis bis nach Nordamerika und Europa.

Martin Beer vermutet, dass H5N8 auch in diesem Jahr per Vogelzug reiste. Der Leiter der Virusdiagnostik im Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) auf der Ostsee-Insel Riems war bereits auf die Ankunft des Erregers gefasst, als in der vergangenen Woche die ersten toten Reiherenten bei Plön entdeckt wurden. Im Sommer war H5N8 in Südrussland aufgetaucht, seither waren die Virusexperten gewarnt. "Erste genetische Vergleiche zeigen, dass sich die Viren sehr ähneln", sagt Beer. Sehr wahrscheinlich habe der Erreger wieder in Zugvögeln die Langstrecken zurückgelegt, bevor er in Europa auf Wildvögel übersprang. Dieses Mal jedoch könnte er gefährlicher sein als im Jahr 2014. Damals zeigten infizierte Enten kaum Symptome, verbreiteten den Erreger aber dennoch weiter, der für Hühner tödlich war. In dieser Saison zählten Enten zu den ersten Opfern. Das zeigt, wie wandlungsfähig das Virus ist und wie unberechenbar.

SZ-Grafik; Quelle: Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit (Foto: SZ-Grafik)

"Im besten Falle sehen wir nur eine schnell wieder abebbende Episode."

Eine Vorhersage über den Verlauf der Epidemie sei deshalb nicht möglich, sagt Beer. "Das wäre Kaffeesatzleserei, wir haben viele Daten noch nicht." So steht die vollständige genetische Analyse noch aus, die endgültige Klarheit über die Herkunft der Viren geben soll. In Tierversuchen wollen die Forscher prüfen, wie gefährlich der Erreger für die verschiedenen Vogelarten ist. Schließlich sei noch nicht sicher, welche Vögel besonders anfällig für die diesjährige H5N8-Variante sind und welche sich vielleicht nur infizieren und das Virus verbreiten, aber nicht daran sterben. Offen ist auch, wo das Virus war, bevor es im Sommer auftauchte: Vielleicht zirkuliert es seit dem vergangenen Ausbruch in Südrussland, ohne bemerkt zu werden. Vielleicht wurde es auch wieder aus dem asiatischen Raum eingeschleppt.

"Sicher wissen wir momentan nur, es ist sehr viel Virus unterwegs, und das stellt eine große Gefahr dar", sagt Martin Beer. Das gelte auch für das Federvieh von privaten Haltern, die ebenfalls Sicherheitsmaßnahmen befolgen sollten, wie sie die Task Force Tierseuchenbekämpfung für die Risikogebiete empfiehlt. Dazu zählt, keine unbefugten Personen in den Stall zu lassen, saubere Schutzkleidung zu tragen, um nichts einzuschleppen, und Hände sowie Stiefel zu desinfizieren. Denn das Virus kann nicht nur direkt von Vogel zu Vogel springen, sondern auch indirekt mit Dreck in den Stall geschleppt werden. Hat die Geflügelpest erst einen Bestand erreicht, können die Behörden die Tötung der Tiere anordnen.

Verschiedene Szenarien sind für den aktuellen Ausbruchsverlauf möglich. "Im besten Falle sehen wir nur eine schnell wieder abebbende Episode", sagt FLI-Experte Beer. Im schlimmsten Fall habe sich das Virus an viele verschiedene Vogelwirte angepasst und bleibt länger in der Wildvogelpopulation. Es sei auch möglich, dass es Phasen gibt, in denen sich die Infektionswelle verlangsamt, um dann wieder zu beschleunigen, etwa wie beim Ausbruch im Jahr 2006, als H5N1 umging. "Wirklich wissen werden wir das erst, wenn es vorbei ist."

© SZ vom 17.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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