Thüringen:"Was macht ihr denn jetzt?"

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Rot-Rot-Grün? Oder Schwarz-Rot-Grün-Gelb? Den vorgeschlagenen Bündnissen fehlt Entscheidendes: eine Mehrheit im Landtag in Erfurt. (Foto: Michael Reichel/dpa)

Im Erfurter Landtag suchen die Parteien eine Regierungsmehrheit. Weiter gekommen sind sie nicht, auch weil nicht jeder mit jedem reden mag.

Von Ulrike Nimz, Erfurt

Wenn es an etwas derzeit keinen Mangel gibt in Erfurt, dann an offenen Fragen. Und so überrascht es nicht, dass am Mittwoch jeder Platz besetzt ist in der Landespressekonferenz. Erstmals seit der Landtagswahl stellen sich die Spitzen der künftig sechs Fraktionen im Thüringer Landtag den Journalisten. Die Runde ist so groß, dass die Nougatspitzen, die Matthias Hey (SPD) wie üblich mitgebracht hat, nicht für alle reichen.

Wenig ist wie üblich im politischen Thüringen, seit mit der Landtagswahl Ende Oktober alle politischen Gewiss- und Mehrheiten perdu sind. Eine Regierungsbildung könnte sich noch Monate hinziehen. Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow, die erste Befragte an diesem Tag, geht davon aus, dass der Ministerpräsident erst Ende Februar oder Anfang März gewählt werden kann - und dann idealerweise Bodo Ramelow heißen wird.

Linke, SPD und Grüne wollen ihr Regierungsbündnis fortsetzen, haben nach der Landtagswahl aber keine Mehrheit mehr. Seit Wochen wird eine Minderheitsregierung unter der Führung von Ministerpräsident Ramelow diskutiert. Dafür wäre Rot-Rot-Grün auf Stimmen anderer Fraktionen angewiesen - beispielsweise von FDP oder CDU. Beide Parteien haben eine festgeschriebene Zusammenarbeit ausgeschlossen, liebäugelten stattdessen mit einer Minderheitsregierung in einem Bündnis aus CDU, SPD, Grünen und FDP. Einer solchen "Simbabwe-Koalition" erteilte jedoch SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee zuletzt eine Absage.

"Von mir aus könnten wir den Ministerpräsidenten noch vor Weihnachten wählen", sagt Hennig-Wellsow. SPD und Grüne müssten aber erst noch die Wahlergebnisse aufarbeiten, das sei zu akzeptieren. Im Januar wollen die Grünen auf einem Parteitag befinden, ob die Voraussetzungen für eine erneute Regierungsbeteiligung stimmen. Hennig-Wellsow kann sich eine Art "Zukunftsvertrag" zwischen fünf Parteien vorstellen, also ohne die AfD. Dafür jedoch seien "die Lockerungsübungen noch nicht weit genug fortgeschritten."

Die AfD macht CDU und Liberalen Angebote - "verbotene Früchte", heißt es bei der FDP

Der sonst lockere Mike Mohring wirkt ab- und angespannt zugleich. Nach der Wahl hat der CDU-Landeschef und Fraktionsvorsitzende einen ziemlichen Zickzackkurs hingelegt. Sendete Mohring am Wahlabend noch verhaltene Signale der Annäherung in Richtung Ramelow, schloss er wenig später jegliche Kooperation mit Linken und der AfD aus. Sein Fraktionsvize und 17 Parteimitglieder jedoch wollten die Öffentlichkeit wissen lassen, dass Gespräche mit der AfD aus ihrer Sicht keineswegs undenkbar seien, was wiederum die Bundes-CDU zu einem Machtwort veranlasste. Mohring selbst erlitt bei der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden vor zwei Wochen zumindest eine gefühlte Niederlage: Nur 14 der 21 Abgeordneten stimmten für ihn. "Der Ort der Entscheidung ist künftig das Parlament", sagt Mohring. Die schwierigen Mehrheitsverhältnisse? Eine Chance für die Demokratie. Der Frage, ob vorstellbar sei, dass Ramelow auch mit CDU-Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt werden könnte, folgt ein deutliches Nein, dann sekundenlanges Schweigen.

Einen Blick in das Seelenleben der Sozialdemokraten gewährt Matthias Hey, dessen Partei bei der Wahl erneut verloren hat. "Als ich 2009 in den Landtag kam, waren wir 18 Abgeordnete, jetzt sind es zehn weniger. Sie können sich vorstellen, wie die Stimmung auf dem Gang ist." Die Sozialdemokraten sehen sich laut Hey als Brückenbauer zwischen Linken, CDU und Liberalen. Und, ja, es sei schon ein bisschen "albern", dass sich CDU und FDP kategorisch verweigerten. Hey plädiert für eine "Koalition der Vernunft". Man dürfe nicht länger in strengen Fraktionsgrenzen denken. "Uns gibt derzeit sowieso keiner Ratschläge mehr, alle gucken uns nur mit schreckgeweiteten Augen an und fragen: Was macht ihr denn jetzt?"

Nach verschiedensten Varianten dieser Frage wird auch Dirk Adams (Grüne) in der Landespressekonferenz kaum konkreter, dafür schön blumig. Es brauche nun eine "Politik des weißen Blattes" - was auch das Motto von AfD-Chef Björn Höcke sein könnte. Wiederholt hat er CDU und Liberalen die Zusammenarbeit angeboten, erst jüngst einen Brief verfasst. Seine Partei sei kooperationswillig und bereit, neue Wege zu gehen. Doch obwohl gemeinschaftliches Wandern Tradition hat in Thüringen, will Höcke so recht niemand folgen.

"Es gibt immer wieder verbotene Früchte, die einem gereicht werden", sagt Thomas Kemmerich, Landes- und Fraktionschef der FDP. Er habe Höckes Brief jedoch nicht als ernst zu nehmendes Angebot verstanden. "Und wenn es ein solches gibt, lehnen wir es ab." Auch Kemmerich plädiert für weitere "vertrauensbildende Maßnahmen". "Gespräche tun jeder Familie gut." Nächsten Mittwoch kommt "die Familie" erstmals öffentlich zusammen. Dann konstituiert sich der Landtag.

© SZ vom 21.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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