Manchmal hat einer eine Idee. Diese Idee ist oft gar nicht so dumm und meist zumindest der Diskussion wert. Dann aber passiert etwas geradezu Unheimliches: Die Idee gewinnt Herrschaft über den, der sie geboren hat, sie wird selbständig und immer radikaler; ihr Urheber wird zu ihrem geistigen Sklaven. Bei Necla Kelek ist das so passiert, der Soziologin, die erst das Elend vieler muslimischer Frauen in Deutschland öffentlich machte und jetzt am liebsten den Islam abschaffen würde.
Bei Thilo Sarrazin ist das auch so passiert, dem einstigen Berliner SPD-Finanzsenator und heutigen Bundesbank-Vorstandsmitglied. Zu Recht hat er mehr Eigenverantwortung und Engagement von Sozialhilfeempfängern und Migranten gefordert. Heute baut er darauf eine Sozialphilosophie auf, in der es um nichts weniger als um den Erhalt des deutschen Vaterlandes geht. Sarrazin, der Gefangene seiner Idee, hat diese Philosophie nun in ein Buch gefasst, das mit großem Tamtam vorgestellt, vorabgedruckt und wohl auch in großer Zahl verkauft wird.
Das Buch ist der Versuch Sarrazins, seriös zu untermauern, was er die vergangenen Jahre als Polemik formuliert hat. Entsprechend wimmelt es in dem Werk mit dem Titel "Deutschland schafft sich ab" von Zahlen, Grafiken, Tabellen, redet er abstrakt von "Erwerbsbeteiligungen" und "Inanspruchnahmen". Das soll die These vom Niedergang des Landes glaubhaft machen, die grob zusammengefasst so lautet: Deutschland wird immer dümmer; vor allem fehlen die Ingenieure, Chemiker, Tüftler, Erfinder.
Das liegt daran, dass die Akademikerinnen zu wenige und die Sozialhilfeempfängerinnen zu viele Kinder kriegen. Schuld daran sind vor allem die Migranten, die sich nicht integrieren wollen und von deutscher Stütze in ihrer Parallelgesellschaft leben, in der neben den Kindern auch der Fundamentalismus und die Gewalt gedeihen.
Und die deutsche Politik, die deutsche Gesellschaft, traut sich nicht, dies zu ändern, getrieben und beherrscht von den "Gutmenschen" ( der Begriff zieht sich als Bezeichnung all derer durchs Buch, die Sarrazin irgendwie doof und naiv findet). Das Land will nicht auf Sarrazin hören, den Rufer in der Wüste. Und wird schon sehen, was es davon hat.
Das Buch gehört damit zum Genre der Niedergangsliteratur, die auch deshalb beim Leser solchen Anklang findet, weil der Niedergang in wohlhabenden Gesellschaften zur latenten Angst der Menschen gehört.