Thailand:Königs-Paragraf mit Fragezeichen

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Die Kraft der Gummienten: Demonstrierende Thailänder fordern in Bangkok Reformen und den Rücktritt des Premiers. (Foto: Soe Zeya Tun/Reuters)

Mehrere Protest-Anführer müssen sich wegen Majestätsbeleidigung verantworten. Doch was genau darunter zu verstehen ist, wissen viele nicht.

Von Arne Perras, München

Das thailändische Militär erhöht den Druck auf die Demonstranten: Fünf Protest-Anführern in Bangkok wird nun offiziell Majestätsbeleidigung nach Paragraf 112 des thailändischen Strafgesetzbuches zur Last gelegt. Sie wurden auf die Polizeiwache einbestellt, wie der thailändische Sender PBS und die Bangkok Post am Nachmittag mitteilten. Ihnen drohen damit Strafrechtsprozesse und im Falle einer Verurteilung bis zu 15 Jahren Haft für jeden einzelnen Vorwurf.

Auf Bildern war zu sehen, wie vier der Aktivisten vor der Polizeistation Chanasongkram das Zeichen des Protests aus dem Film "Tribute von Panem" zeigten. Sie legten sich drei gestreckte Finger über die Lippen, offenbar als Signal, dass der Staat nun versuche, sie zum Schweigen zu bringen. Offen blieb zunächst, ob und wann Haftbefehle gegen die vier Aktivisten folgen werden. Sie waren am Montagnachmittag noch auf freiem Fuß.

In Telefonaten und Chats mit Bewohnern von Bangkok wurde am Montag eine wachsende Verunsicherung deutlich über die Frage, was die Demonstranten zu erwarten haben. Manche vermuten, dass die Polizei mit Festnahmen abwartet, um auszutesten, wie die Reaktionen im In- und Ausland ausfallen.

Thailand ist tief gespalten bei der Frage, welche Rolle der König haben sollte

Das betrifft potenziell auch den Monarchen, der sich zuletzt viel in Deutschland aufhielt, im Oktober aber zurück nach Thailand reiste. In Bangkok wird diskutiert, ob Deutschland seine Rückkehr erlauben wird, wenn Demonstranten wegen des drakonischen Paragrafen der Majestätsbeleidigung festgenommen werden.

Die vergangenen zwei Jahre hielten sich die Behörden in Thailand noch an die Praxis, keine gerichtlichen Verfolgungen von derartigen Vorwürfen mehr zu veranlassen. Zwischen dem Putsch 2014 und Anfang 2018 hatte es nahezu 100 derartige Anklagen gegeben, in einem Fall wurde eine Strafe von 70 Jahren Gefängnis festgestellt, wie die Zeitung Bangkok Post 2017 berichtete; sie wurde dann auf 35 Jahre halbiert, weil der Mann geständig gewesen sei. Greifbare Kriterien, was jeweils als eine Beleidigung seiner Majestät zu werten ist, sind nicht bekannt.

Das Strafgesetz gibt laut Kritikern der Militärregierung und Ultra-Konservativen ein Werkzeug in die Hand, um Andersdenkende einzuschüchtern. Die Junta hat dies immer bestritten. Die kommenden Tage dürften erweisen, ob der Paragraf 112 zur Zermürbung der Demonstranten beiträgt oder sie eher weiter in den Widerstand treibt, wie der Aktivist Parit Chiwarak sagte. Thailand ist in der Frage, welche Rolle der König künftig spielen soll, tief gespalten.

"Wir lieben sie dennoch", sagt der Monarch über die Demonstranten und ihren Wunsch nach Reformen

Noch im Juni hatte Premier Prayuth Chan-ocha erklärt, der Monarch habe ihn persönlich angewiesen, den Lèse-Majesté-Paragrafen nicht anzuwenden. Als es einem Reporter Anfang November gelang, König Maha Vajiralongkorn bei einem Rundgang eine Frage zu den Demonstranten und ihrem Wunsch nach Reformen zuzurufen, antwortete der Monarch zunächst: "Kein Kommentar." Doch dann schob er dreimal denselben Satz nach: "Wir lieben sie dennoch".

Das hat nicht verhindert, dass das Militär jetzt seine Drohgebärden offenbar verschärft. Unklar ist, ob der König die Direktive geändert hat oder dies auf die Initiative der Generäle geschieht. Vom Palast gab es keinen Kommentar.

Eine der Vorgeladenen, Panusaya Sithijirawattanakul, hatte vergangene Woche im Chat mit der SZ von ihrer Beunruhigung erzählt, gleichzeitig aber betont, dass sie die Proteste weiter führen wolle. Anon Nampa, eine der treibenden Kräfte hinter den Forderungen nach Reformen, sagte der Agentur Reuters mit Blick auf den umstrittenen Strafrechtsparagrafen: "112 ist ein ungerechtes Gesetz, ich messe ihm keinen Wert zu."

Am Mittwoch wollen die Aktivisten gegen Premier Prayuth auf die Straße gehen. Sie fordern seinen Rücktritt

Auch die Aktivisten Panupong Jadnok, Parit Chiwarak und Patiwat Saraiyaem wurden vorgeladen. Der wachsende Druck auf Aktivisten markiert eine weitere Eskalation im Konflikt zwischen der Protestbewegung und der von der Armee kontrollierten Regierung. Dies deutete sich bereits an, als Prayuth kürzlich ankündigte, dass er künftig wieder "alle verfügbaren Gesetze" anwenden werde, so wie es sich mit der Einbestellung der Protestführer wegen Lèse-Majesté nun auch abzeichnet.

Die Demonstrationen hat das bislang nicht erstickt. Am Sonntag konzentrierten sich die Proteste auf die Kaserne des 11. Infanterie-Regiments, einer Armeeeinheit, die der König 2019 unter seine direkte Kontrolle gestellt hatte. Am Mittwoch wollen die Aktivisten erneut gegen Prayuth auf die Straße gehen, sie fordern seit vielen Wochen seinen Rücktritt.

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