Terrorverdächtiger Abu Qatada in Großbritannien:Gefährlich frei

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Er gilt als Osama bin Ladens Botschafter in Europa: Acht Jahre lang saß der berüchtigte Islamist Abu Qatada in Großbritannien in Haft, ohne dass Anklage gegen ihn erhoben wurde. Nun ist er wieder auf freiem Fuß und die Briten versuchen verbissen, ihn loszuwerden - wenn nötig auch gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Christian Zaschke, London

Als Abu Qatada in der Nacht zum Dienstag das Hochsicherheitsgefängnis Long Lartin im englischen Worcestershire verlassen durfte, konnte er sich trotzdem nicht als freier Mann fühlen. Der 51 Jahre alte islamische Prediger, der in Großbritannien unter anderem als "Osama bin Ladens Botschafter in Europa" bezeichnet wurde, wird unter strengsten Auflagen eine Wohnung in London beziehen.

Der 51-jährige Abu Qatada wurde aus der Haft entlassen - nun ist die Empörung in Großbritannien groß. (Foto: AP)

Abu Qatada wird von den Behörden als Gefahr für die nationale Sicherheit eingestuft. Er hat die vergangenen acht Jahre - mit einer halbjährigen Unterbrechung - im Gefängnis verbracht, ohne dass Anklage gegen ihn erhoben wurde. Die Briten wollen ihn nach Jordanien ausliefern, wo er 1998 in Abwesenheit wegen Terrorismus verurteilt wurde. Das untersagte in diesem Januar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Daraufhin entschied ein britischer Richter, dass Abu Qatada unter Auflagen freigelassen werden muss. In Großbritannien ist seither eine grundsätzliche Diskussion entbrannt.

Einige konservative Abgeordnete forderten Premierminister David Cameron dazu auf, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ignorieren und Abu Qatada trotz des Urteils schnellstens auszuliefern. Das Gericht hatte befunden, dass der Prediger in Jordanien auf der Grundlage von Geständnissen verurteilt wurde, die unter Folter erzwungen wurden.

Es hatte gefordert, Großbritannien und Jordanien müssten vor einer Auslieferung eine Vereinbarung vorlegen, die besagt, dass Abu Qatada nicht wegen unter Folter getätigter Aussagen verurteilt wird. Auf Veranlassung von Cameron bemüht sich das Innenministerium derzeit, eine solche Vereinbarung vorzubereiten. Ein Staatssekretär reiste am Dienstag nach Amman, um die Angelegenheit zu besprechen.

"Es gibt legale Wege"

Dass Abu Qatada das Gefängnis nun tatsächlich verlassen durfte, führt in allen Parteien zu Empörung. Der Liberaldemokrat Lord Carlile sagte, der allgemeine Ärger über die Freilassung sei absolut gerechtfertigt: "Es ist außergewöhnlich, dass dieser Mann im Vereinigten Königreich bleiben darf. Wir müssen Mittel und Wege finden, ihn außer Landes zu bringen. Es gibt legale Wege, das zu tun."

Das Boulevardblatt The Sun fährt seit Tagen eine Kampagne gegen den Prediger: "We must try harder / to kick out Qatada" - wir müssen härter daran arbeiten, Qatada rauszuwerfen. Die Zeitung fordert ihre Leser dazu auf, eine entsprechende Petition an den Premierminister zu unterschreiben. Dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, schreibt das Blatt, brauche man sich nicht zu unterwerfen, es drohe von dort lediglich eine kleine Geldstrafe.

Das Thema wird so emotional diskutiert, weil Abu Qatada als äußerst gefährlich gilt und bereits seit 1993 als politischer Flüchtling in Großbritannien lebt. Seine Predigten wurden mit den Jahren radikaler. 1995 zum Beispiel erklärte er, es sei mit dem Islam vereinbar, die Frauen und Kinder von Ungläubigen zu töten, um die Unterdrückung in Algerien zu beenden. Zudem attackierte er Juden in seinen Reden. 2001 sagte er in einem Gespräch mit der BBC, er halte Selbstmordanschläge für gerechtfertigt.

Möglicher Einfluss auf 9/11-Attentäter

Die britischen Behörden gehen davon aus, dass Abu Qatada eine große Gefolgschaft hatte und womöglich noch hat. Eine DVD mit seinen Lehren wurde in einer Hamburger Wohnung gefunden, die Attentäter bewohnt hatten, die am 11. September 2001 das World Trade Center attackierten. Mehrere Terroristen beriefen sich in den vergangen Jahren auf ihn und seine Lehren. Ende 2001 war Abu Qatada abgetaucht, als in Großbritannien ein Gesetz in Kraft trat, das es erlaubte, Terrorverdächtige ohne Anklage festzuhalten. Er wurde später in Südlondon aufgegriffen und inhaftiert.

In London wohnt er jetzt erneut bei seiner Familie. Abu Qatada darf das Haus lediglich zweimal am Tag für je eine Stunde verlassen; er steht dabei unter Beobachtung. Er darf kein Handy und keinen Computer benutzen. Sämtliche Kontakte müssen angemeldet werden. Alle Besucher außer der engsten Familie und dem Anwalt werden durchsucht. Sein Bewegungsradius ist sehr beschränkt.

Der Richter, der die Freilassung angeordnet hatte, forderte, dass binnen drei Monaten "signifikante Fortschritte" im Auslieferungsverfahren gemacht werden müssten - andernfalls werde er die strengen Auflagen lockern. Wo Abu Qatada heute politisch steht, gilt als unklar. 2005 hat er im Gefängnis eine Botschaft aufgenommen, in der er um Freilassung eines gekidnappten britischen Menschenrechtlers im Irak bat. Die Polizei beschreibt Abu Qatada als Mann, der ein "aktiver Unterstützer von Terrorismus" war. Es sei "gefährlich, anzunehmen, dass sein Einfluss geschwunden ist".

© SZ vom 15.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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