Terroristen:Zwei schnelle Sätze

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Der "Islamische Staat" bezichtigt sich in zwei hölzernen Sätzen des Anschlags - und rückt damit von seiner früheren Linie ab.

Von Moritz Baumstieger

Es dauerte ziemlich genau 24 Stunden, bis die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Tat vom Berliner Breitscheidplatz für sich reklamierte. Dienstagabend, kurz nach 20 Uhr, verschickte die Propaganda-Abteilung der Dschihadisten eine Meldung auf Deutsch und Arabisch über die Messenger-App Telegram - wie immer in einer Grafik aufbereitet, was es den Empfängern leichtmacht, die Meldung in den sozialen Medien zu teilen: "Eilmeldung - Geheimdienstquelle zur Amaq Agentur", hieß es. Dann folgten zwei dürre Sätze in hölzernem Deutsch, welche die trockene Sprache der Nachrichtenwelt imitieren sollen: "Der Ausführer des Überfahranschlages in Berlin gestern ist ein Soldat des Islamischen Staates. Er führte die Operation nach Aufrufen zum Angriff auf Angehörige der Koalitionsstaaten aus."

Die Mitteilung entspricht dem Muster, mit dem sich der IS in der Vergangenheit zu seinen Anschlägen bekannte. Seine "Nachrichtenagentur" Amaq verkündet die Nachricht als Erste und beruft sich auf "Kreise" oder "Informanten" - das soll eine Distanz zu der Terrororganisation vorgaukeln, die in Wirklichkeit nicht gegeben ist und soll so seriöser wirken. Stets ist in den Nachrichten von "Soldaten des Kalifats" die Rede, der zweite Teil ("nach Aufrufen") soll unterstreichen, dass die Tat im Auftrag oder zumindest im Sinne der Terrororganisation geschehen sei. Damit wollen die Dschihadisten dem Eindruck entgegenwirken, sie würden sich für Taten brüsten, die unabhängig von ihnen verübt wurden. Nach den Attacken von Würzburg und Ansbach im Sommer hatten sogar Experten den Eindruck, der IS agiere als Trittbrettfahrer.

Das war jedoch oft nicht der Fall. Tatsächlich veröffentlichte der IS meistens Bekennervideos oder Fotos, die von den Tätern vor den Taten an die Terrororganisation geschickt wurden - wirklich geplant und befohlen hatte die IS-Führung die Taten jedoch nicht. Der im August bei einem Drohnenangriff getötete Propaganda-Chef der Islamisten, Abu Mohammad al-Adnani, hat vielmehr ein dezentrales Franchise-Konzept des Terrors etabliert. Die Terrormiliz veröffentlicht Aufrufe zu Taten und eher allgemein gehaltene Anleitungen, wie man möglichst viele Menschen töten kann. Umgekehrt wird mit einem Bekennervideo, in dem der Täter dem Kalifen al-Baghdadi die Treue schwört, seine Tat durch den Markennamen IS aufgewertet.

Lange Zeit veröffentlichte der IS Selbstbezichtigungen erst dann, wenn der Attentäter bei seinem Angriff oder einer Folgetat getötet wurde. Ein "Soldat des Kalifats" flüchtet nicht, wird nicht von Ungläubigen festgenommen, verrät erst recht nichts im Verhör, so die Logik der Islamisten. Als der IS jedoch Ende Oktober den bis heute nicht aufgeklärten Mord an einem 16-jährigen Hamburger für sich reklamierte, ohne dass etwas über einen toten Attentäter bekannt war, wich er das erste Mal von dieser Linie ab. Mit dem Bekenntnis zur Tat in Berlin scheint die Praxis endgültig aus der Handlungsanleitung des IS gestrichen zu sein - oder eben die Regel, nur die Anschläge für sich zu beanspruchen, die man nachweislich veranlasst hat. Und sei es indirekt.

© SZ vom 22.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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