Tel Aviv:Aber schön ist es hier

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Ein Ort der Superlative: Tel Aviv. (Foto: Gil Cohen-Magen/AFP)

Teuerste Stadt der Welt? In Tel Aviv regt das kaum jemanden auf.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Superlative sind die Tel Aviver gewohnt. Als attraktivste, aufregendste und modernste Stadt im Nahen Osten, mindestens, lässt sich die israelische Mittelmeermetropole gern preisen. Doch nun hat das britische Magazin Economist dem israelischen Wirtschafts- und Kulturzentrum noch einen anderen Spitzenplatz zugewiesen: Tel Aviv ist die teuerste Stadt der Welt.

Dies ist das Ergebnis einer jährlich von der Economist Intelligence Unit (EIU), einem Schwesterunternehmen des Wirtschaftsblattes, durchgeführten Analyse zu den Lebenshaltungskosten in 173 ausgesuchten Städten. Tel Aviv ist in diesem Jahr von Platz fünf auf eins gesprungen, hat Paris hinter sich gelassen und Singapur, Zürich sowie Hongkong abgehängt. Frankfurt rangiert als teuerste deutsche Stadt auf Platz 19. Ganz unten auf der Liste steht Damaskus.

Überraschend ist nun, dass niemand in Tel Aviv überrascht ist und von den Verantwortlichen kaum einer alarmiert. Der Bürgermeister Ron Huldai zum Beispiel, ein Sozialdemokrat, der die Stadt seit 1998 regiert, hat die Schuld an den horrenden Lebenshaltungskosten routiniert sogleich auf die Regierung in Jerusalem geschoben. Von dort kam keinerlei Kommentar, und auf den Tel Aviver Straßen zucken viele nur mit den Schultern.

Wer horrende Mieten seit Jahren gewohnt ist und für ein Glas Wein im Restaurant so viel bezahlt wie andernorts für eine Flasche, der lässt sich wohl von einem solchen Städte-Ranking so schnell nicht aus der Ruhe bringen. Weil die EIU die Preise auf Basis des US-Dollars vergleicht, wird als einer der Gründe für den Spitzenplatz zudem der starke Schekel angegeben. Für den stets positiv denkenden Tel Aviver birgt das immerhin den Vorteil, dass man ins Ausland fliegen und dort billiger einkaufen könnte.

Dabei gehören rote Zahlen auf dem Konto längst zum Alltag vieler Tel Aviver. Denn einer OECD-Studie zufolge liegen die Preise zwar deutlich über dem Durchschnitt anderer Industrienationen, die Löhne aber darunter. Leisten können sich die Stadt vor allem noch die Beschäftigten des boomenden Hightech-Sektors. Viele andere ziehen gezwungenermaßen nach draußen ins Umland - oder gleich nach Berlin, wo Schätzungen zufolge inzwischen bis zu 30 000 zumeist junge Israelis leben. Zwar steigen auch dort die Preise. Im EIU-Ranking aber liegt Berlin auf einem angenehmen 50. Platz.

Proteste gegen die hohen Lebenshaltungskosten hat es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben. Schon 2011 zum Beispiel campierten Tausende in Zelten auf dem Tel Aviver Rothschild-Boulevard. 2014 gab es einen Aufruhr, nachdem ein Israeli aus Berlin einen Kassenzettel postete: 19 Cent waren da für einen Schokopudding ausgewiesen, der in Tel Aviv ein Vielfaches kostete.

Doch all diese Protestwellen ebbten schnell wieder ab. Es kam die nächste Krise oder der nächste Krieg, dessen Finanzierung natürlich hohe Steuern und Zölle auf die vielen Exportgüter verlangt. Und in den ruhigeren Zeiten dazwischen feiern die Tel Aviver das Leben in ihrer Stadt, die ihnen lieb ist und so teuer.

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