Tarifstreit:Vorschläge und andere Zumutungen

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Gewerkschaften und kommunale Arbeitgeber trauen sich nicht über den Weg. Sie haben einigen Grund dazu.

Von Detlef Esslinger

Warum kommt es nächste Woche zum unbefristeten Streik? Weil die Gewerkschaften nicht verhandeln und auf die Vorschläge der Arbeitgeber nicht eingehen wollen - sagen die Arbeitgeber. Weil die Arbeitgeber nur Vorschläge machen und auch insgesamt allenfalls zu punktuellen Verbesserungen bereit sind - sagen die Gewerkschaften.

Damit fängt es schon einmal an: Vorschläge! Wer verstehen will, warum es zu diesem Streik kommt, muss sich mit der Mechanik und dem Ablauf von Tarifverhandlungen befassen. Die beginnen, in jeder Branche, damit, dass eine Gewerkschaft eine Forderung stellt, und gehen normalerweise so weiter, dass die Arbeitgeber nach einer gewissen Frist mit einem Angebot antworten. Anschließend beginnt das eigentliche Verhandeln, und irgendwann gibt es ein Ergebnis, das unter der Forderung, aber über dem Angebot liegt.

Neuerdings gibt es jedoch mehr und mehr Tarifrunden, in denen Arbeitgeber den Terminus technicus Angebot scheuen und lieber von "Lösungsmodell" oder von Vorschlägen sprechen. So auch im Sozial- und Erziehungsdienst: "Vorschläge" nannte die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), was sie den Gewerkschaften Verdi, GEW und Beamtenbund in der vergangenen Woche präsentierte. Die Wahl dieses Begriffes ist niemals Zufall, sondern Kalkül. Und sie ist Ausdruck eines grundsätzlichen Misstrauens.

Die VKA ist der Dachverband, der für Gemeindeverwaltungen und deren Betriebe in ganz Deutschland die Tarifverhandlungen führt. Spätestens, seitdem führende Funktionäre von Verdi vor zwei Jahren ein Buch herausgebracht haben, in dem sie sich auf 300 Seiten darüber ausließen, wie man mit Hilfe von Streiks leichter Mitglieder gewinnen kann (Titel: "Organisieren am Konflikt"), unterstellen die VKA-Vertreter der Gewerkschaft grundsätzlich eine Krawallstrategie. Im Erzieher-Streit wurden relativ früh, im März, interne Papiere von Verdi öffentlich, die bereits detaillierte Streikpläne für Mai enthielten. Die Arbeitgeber bestätigte das nur in ihrer Einschätzung, dass bei Verdi die Priorität derzeit eher auf Streik denn auf Einigung liegt. Also gaben sie bisher kein Angebot ab, um der Gewerkschaft nicht die Basis zu liefern, von der aus sie zunächst in inszenierter Empörung den Streik ausrufen und hernach die Preise hochtreiben kann. Sie machten "Vorschläge" - dem Begriff haftet etwas Unverbindliches an. Vorschläge können immer auch zurückgezogen werden, wohingegen ein Angebot in der Welt ist und dort bleibt.

Aber kann es nicht egal sein, welchen Begriff ein Arbeitgeber wählt - Hauptsache, er lässt sich auf eine bessere Bezahlung ein? Es geht hier übrigens nicht um prozentuale Lohnerhöhungen (wie in der Metall- und in der Chemieindustrie); diese Frage stellt sich erst 2016 wieder. Diesmal verlangen die Gewerkschaften, die 240 000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst der Kommunen besserzustellen, indem sie in höhere Entgeltgruppen gehievt werden.

Alles deutet darauf hin, dass sich die Auseinandersetzung in die Länge ziehen wird

Verdi, GEW und Beamtenbund bestreiten, dass die Arbeitgeber generell dazu bereit sind. Sie beklagen, dass die VKA ihre Vorschläge nur auf einige wenige Berufsgruppen bezieht: auf Erzieher und Kinderpfleger in Kitas, auf die Leiter dort sowie auf Erzieher in Behindertenwerkstätten - und dass die Vorschläge zu mickrig sind. Zu vielen anderen Berufsgruppen äußerte sich die VKA in der Tat bisher nicht: zu Erziehern an Ganztagsschulen, zu Beschäftigten in Jugendclubs und Jugendhäusern, zu Schulsozialarbeitern und Jugendgerichtshelfern, zu Heilpädagogen.

In der Öffentlichkeit stehen derzeit vor allem die Beschäftigten der Kitas, sie sind es auch, die den überwiegenden Teil der Streikmacht bilden werden. Aber wer dieser Tage mit Gewerkschaftern spricht, der hört zweierlei: dass man bei Kitas nicht so unbekümmert zum Streik aufruft wie vielleicht bei Druckern oder dem Vermessungsamt - weil es einen Unterschied mache, ob man Kindern absagt oder eine Offsetmaschine abstellt. Und dass es eben nicht nur um die Beschäftigen der Kitas geht, sondern auch um diejenigen, die im Alltag weniger wahrgenommen werden.

Bleibt die Frage, um wie viel Geld es eigentlich geht. Hier gilt die Regel: Traue niemals Zahlen, die du nicht selbst ausgewählt hast. Die VKA spricht bei Kita-Leitern davon, dass ihre "Vorschläge" ein Plus "von bis zu 430,65 Euro" bedeuteten. Verdi hält dagegen: aber nur, wenn einer auf mindestens 15 Dienstjahre kommt. Umgekehrt sagt Verdi, die Forderung für Erzieher in Kitas belaufe sich bloß auf monatlich 200 bis 400 Euro mehr, je nach Dienstalter. Die VKA sagt: aber nicht in jener Entgeltstufe, in der die meisten Erzieher eingeordnet sind. Dort wären es 685 Euro mehr. Hört sich nach einer langen Auseinandersetzung an. Der letzte Kita-Streik war vor sechs Jahren. Er zog sich über 13 lange Wochen hin.

© SZ vom 29.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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