Seit ein paar Jahren gilt in der ARD der Grundsatz: Wir können nicht nur über alles reden - wir müssen sogar. Der politische Journalismus im Ersten ist zur Quasselveranstaltung verkommen. Nicht weniger als fünf Talkshows pro Woche hat die ARD seit 2011 betrieben, erst vorigen Herbst wurden daraus vier. Ob man sich gerade bei Frank Plasberg, Anne Will oder Günther Jauch befindet, lässt sich beim Zappen im Zweifel immer noch eher an der Farbe der Kulisse erkennen als an Themen. An den Gästen ohnehin nicht, denn dieselben Menschen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sitzen in den immer selben Stuhlkreisrunden.
Pressefreiheit im gebührenfinanzierten Ersten ist die Freiheit der immer gleichen Talkshowbewohner, ihre Meinung in Wort und Bild zu verbreiten. In Zeiten der großen Koalition ist das ganz besonders öde.
Da trifft es sich gut, dass Günther Jauch nun ankündigt, zum Jahresende mit seiner Talkshow am Sonntag Schluss zu machen - "sowohl aus beruflichen als auch aus privaten Gründen", wie er erklärte. Die ARD müsste Jauch eigentlich dankbar sein. Sein persönlicher Ausstieg liefert eine ideale Exit-Strategie aus dem Zeitalter des immer aufgeregten und fast immer bedeutungslosen Meinungswettbewerbs im Fernsehen. Bei Politikern sind Talks beliebt, weil sie - anders als die klassischen, kritischen Politmagazine - eine Bühne zur Selbstdarstellung bieten. Wolfgang Bosbach, CDU, der besonders gern in Talkshows auftritt, kommentierte das Ende von Jauch am ARD-Sonntag betroffen: "Ich bin platt."
Nach Jauch: Die ARD sollte nun weniger Gesprächsrunden senden
Platt oder nicht - wenn die Intendanten ihre Sinne beieinanderhaben, nutzen sie die Gelegenheit zum harmonischen Abbau des Talk-Überschusses. Keiner ihrer Moderatoren muss dabei beschädigt werden. Wenn die profilierte Anne Will auf den Sonntagsplatz zurückkehrt, den sie 2011 wegen Jauch räumen musste, blieben mit Plasberg und Sandra Maischberger immer noch drei Talks. So würde Platz frei für gründlich recherchierte Reportagen oder vielleicht sogar Serienfernsehen, bei dem - verrückter Gedanke - mehr als eine Episode pro Abend gezeigt wird.
Der Redemarathon in der ARD ist nicht allein Jauch anzulasten. Aber richtig ist, dass seine Sendung die ARD verändert hat. Jauchs Verpflichtung war der Anlass für die Talkflut. Die ARD-Chefs verschoben damals Sendungen, wägten interne Prioritäten - und am Ende standen auf einmal fünf Gesprächssendungen im Programm. Daran hielt man fest - jahrelang und gegen jede Kritik. Bei Widerspruch rechneten die Intendanten die guten Quoten vor.
Der Aufwand, der um Jauch getrieben wird, ist bemerkenswert. Die ARD-Oberen erinnerten an ein Mädchen im Mai, das im Schaufenster ein Kleid sieht und sich sagt: das hätte ich gern - der Rest kommt von alleine. Jauch wurde eingekauft als Inbegriff des soliden, öffentlich-rechtlich ausgebildeten Journalisten. Begehrt wurde er aber nicht weniger heftig als der Quiz-Onkel der Nation, der bei RTL aus normalen Menschen Millionäre macht.
Die Operation Günther Jauch in der ARD ist vielleicht nicht gescheitert, aber sie war schnell vorbei. Ähnlich wie im Fall des Entertainers Thomas Gottschalk war die ARD bereit, für eine Verheißung sehr viel Geld auszugeben, die sie offenbar selbst nicht produzieren kann. Sie wollte eine am Privatfernsehen orientierte, quotenträchtige Unterhaltsamkeit paaren mit der untadeligen öffentlich-rechtlichen Glaubwürdigkeit. Nach nur viereinhalb ehrenwerten Jahren ohne jeden RTL-Glitzer, aber trotzdem regelmäßig kritisiert, hört Jauch nun schon wieder auf. Das zeigt, dass selbst einer wie er aus Gerede nicht mehr machen kann als Talk. Die ARD braucht kein neues Kleid, sondern eine neue Ernsthaftigkeit.