Eine der ehernen Wahlkampfregeln hat sich in den vergangenen Wochen als überholt erwiesen, zumindest für Deutschland. Bill Clinton gilt als deren Urheber, er hat sie 1992 in seinem Präsidentschaftswahlkampf begründet, aber Wahlkämpfer in vielen Ländern haben sie übernommen: "It's the economy, stupid" - es ist die Wirtschaft, Dummkopf. Hierzulande ging es in diesem Sommer allerdings kaum um Wirtschaft. "It's the culture, stupid", es waren vielmehr kulturelle Ängste, die die Wahl mitentschieden haben. Darauf hat auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Dienstag in seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit hingewiesen.
Steinmeier hat sich natürlich nicht ausdrücklich an Clinton angelehnt; er hat eigene Worte gefunden, in seiner bislang stärksten Rede im Amt. Er hat gemahnt, das Thema Flucht und Migration nicht länger als moralisches Kampfgebiet zu sehen, er hat um Verständnis geworben für Menschen, die sich fremd fühlten im eigenen Land, und ihm ist die Sentenz gelungen: "Nicht alle, die sich abwenden, sind deshalb gleich Feinde der Demokratie. Aber sie alle fehlen der Demokratie."
Es wird nun nicht bloß darum gehen, Lösungen für dieses und für jenes Problem zu finden. Mindestens genauso wichtig wird der Stil sein, in dem debattiert wird. "Verstehen und verstanden werden", hat Steinmeier das genannt. Auf etliche Rechthaber kommt viel Arbeit zu.