Tag der Deutschen Einheit:Das Unvorstellbare

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Erst kam die Freiheit, dann die Einheit: Zum Tag der Deutschen Einheit zeigte der Street-Art-Künstler JR am Brandenburger Tor in Berlin Bildmaterial aus der Zeit des Mauerfalls. (Foto: Christoph Soeder/dpa)

Die Feiern in Berlin würdigen die Leistung der Ostdeutschen. Wolfgang Schäuble fordert zu "Selbst­vertrauen, Gelassenheit und Zuversicht" auf.

Von Jens Schneider, Berlin

Für Berlin-Besucher ist das gelbe Band der Einheit an diesem Mittwoch eine Suche wert: Wo liegt hier ihre Gemeinde? Auf zweieinhalb Kilometern zieht sich auf den Straßen im Zentrum der Hauptstadt das Band mit den gelben Ortsschildern. Alle 11040 deutschen Gemeinden sind in alphabetischer Reihenfolge vertreten. Und das Brandenburger Tor hat der französische Street-Art-Künstler JR zum Tag der Einheit mit einer riesigen Foto-Collage eingekleidet. Sie zeigt Bilder der Freude aus dem November 1989, als die Mauer fiel.

Unter dem Motto "Nur mit Euch" richtet Berlin 2018 die Feier zur Einheit aus, die Jahr für Jahr in einem anderen Bundesland statt findet. Rund um das Brandenburger Tor und das Reichstagsgebäude präsentieren sich alle Bundesländer, das Fest dauert drei Tage. Künstler wie Nena, Samy Deluxe und Namika treten auf. Zugleich nutzen mehr als 1000 Rechtsextreme und Rechtspopulisten den Anlass zu einem Aufmarsch, vereinzelt werden Hitlergrüße gezeigt. Etwa ebenso viele Gegendemonstranten gehen auf die Straßen, die Polizei hält die Gruppen mit großem Aufgebot voneinander fern.

Unter den Linden, in der Staatsoper, spricht Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) beim Festakt von der Botschaft, die von den Jahren 1989/90 ausgehe: "Dass das Unvorstellbare gelingen kann, dass es sich lohnt, den Mut aufzubringen und gemeinsam für die Freiheit zu kämpfen." Der Bundesratspräsident spricht den Menschen in Ostdeutschland Respekt aus. "In dieser Zeit entstanden auch Wunden", sagt Müller. "Wir alle wissen, dass an vielen Stellen noch Benachteiligungen da sind." Und er betont: "Wir wissen, was Sie geleistet haben."

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) fordert in seiner Rede mehr "Selbstvertrauen, Gelassenheit, Zuversicht"; dies sei der "Dreiklang eines zeitgemäßen Patriotismus". Für Deutschland sei die Wiedervereinigung eine "zweite Chance", das Land müsse sensibel bleiben gegenüber jedem Versuch, sich aus der historischen Verantwortung zu stehlen oder die freiheitliche Demokratie in Frage zu stellen, sagt Schäuble. Niemand habe das Recht zu behaupten, er allein vertrete "das Volk". Denn der Wille des Volkes entstehe in der Debatte, und in der Vielheit. Und auch der Bundestagspräsident, der 1990 den Einigungsvertrag mit aushandelte, spricht über die Spuren, die der schnelle Wandel nach dem Ende der DDR hinterlassen hat. Dazu gehörten auch Enttäuschungen, etwa durch Arbeitsplatzverlust, sagt er. Die Einheit habe "viele neue Lebenswege" hervorgebracht: "Aus all diesen Geschichten setzt sich die deutsche Einheit zusammen."

© SZ vom 04.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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