Susanne Eisenmann:"Wir haben ein Qualitätsproblem"

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Deutschlands Schüler können immer schlechter rechnen und schreiben. Mehr Lehrer würden gewiss helfen. Doch es muss noch viel mehr geschehen, sagt die baden-württembergische Kultusministerin.

Interview von S. Klein und V. Wulf, München

Über Jahre stieg die Qualitätskurve deutscher Schulen an, von ziemlich weit unten bis hoch ins gute internationale Mittelfeld. Damit scheint es nun vorbei zu sein. Ende 2016 zeigte die Pisa-Studie stagnierende Leistungen bei 15-Jährigen, am Freitag stellte dann das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) eine Grundschulstudie vor: Beim Rechnen, Rechtschreiben und Zuhören fielen Viertklässler im Vergleich zu 2011 im Bundesdurchschnitt deutlich zurück. Vor allem Baden-Württemberg, schon 2016 vom IQB gewarnt, sackte weiter ab. Was sind die Ursachen, was hilft? Ein Gespräch mit der Kultusministerin des Landes, Susanne Eisenmann, die zugleich Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) ist.

SZ: Frau Eisenmann, der IQB-Bildungstrend macht Angst. Geht es jetzt wieder bergab mit der Bildung in Deutschland?

Susanne Eisenmann: Die Ergebnisse sind ernüchternd, für Deutschland insgesamt. Der Trend hat sich ein Stück weit nach unten entwickelt, das ist unbestreitbar. Wir konstatieren einen Handlungsbedarf.

Wie konnte es so weit kommen?

Wir haben noch unterschiedlichere Schüler als bisher angenommen. Da kommen Kinder in Klasse eins, die können schon lesen, andere können noch keinen Stift halten. Die Vielfalt ist seit 2011 deutlich gewachsen, durch die verstärkte Zuwanderung noch vor der Flüchtlingswelle, aber auch bei Kindern ohne Migrationshintergrund, und natürlich durch die Inklusion. Das sind für uns die Hauptgründe. Darauf Antworten zu finden, ist nicht überall so gelungen, wie es sein müsste.

Die Inklusion Behinderter und die Zuwanderung haben vor aller Augen stattgefunden. Haben die Minister das verschlafen?

Also, das sehe ich nicht so. Dass wir immer differenziertere Schulklassen haben, wissen wir auch. Da müssen auch die Antworten differenzierter werden, dafür haben wir das Bildungsmonitoring. Studien wie die vom IQB gibt die KMK in Auftrag, um zu sehen, wo wir stehen. Ob die Maßnahmen greifen oder man nachjustieren muss.

In manchen Bundesländern sind die Testergebnisse gut, obwohl ein Lehrer dort vergleichsweise viele Schüler unterrichtet. (Foto: Gerhard Leber/Imago)

Während die KMK testet, schlagen Lehrer und Eltern seit Jahren Alarm. Weil Lehrer fehlen, gerade in den Grundschulen. Wieso hört man nicht auf die vielen Stimmen?

Die Forderung nach mehr Lehrern und mehr Geld ist das, was man oft reflexartig von Gewerkschaften und Verbänden hört. Ich glaube aber nicht, dass das reicht. Die IQB-Studie 2016 zeigt, dass wir erst fragen müssen, was wir inhaltlich machen und wie wir uns weiterentwickeln müssen.

Aber als am vergangenen Donnerstag die Kultusminister in Berlin tagten, warnten sie, der Lehrkräftemangel würde sich sogar noch verschärfen. Und heute ist er plötzlich nicht mehr das Hauptproblem?

Natürlich brauchen wir mehr Lehrkräfte. Bedingt durch die derzeit hohen Pensionierungswellen haben wir einen immensen Ersatzbedarf. Aber wir sollten nicht den Fehler machen zu sagen: Mehr Lehrer, und damit war's das. Wir haben schließlich auch Bundesländer, etwa Bayern, die beim IQB-Trend sehr gut abschneiden, obwohl ein Lehrer dort durchschnittlich mehr Schüler unterrichtet als zum Beispiel in Baden-Württemberg. Da muss man doch prüfen, was welchen Kindern mit welchen Methoden und welcher Differenziertheit im Unterricht beigebracht wird. Wir müssen uns mehr mit den Inhalten befassen als mit der Frage, wie viele Lehrer wir haben.

Das heißt, Sie betrachten den Lehrermangel als zweitrangiges Problem?

Nein. Mehr Lehrer, kleinere Klassen, mehr Ressourcen - über all das können wir gerne reden. Aber wir werden vor allem darüber reden müssen, was in den einzelnen Unterrichtsstunden tatsächlich passiert.

Wurde das bisher vernachlässigt?

Wenn man sich anschaut, welche Länder stabil oben stehen oder sich gegen den Trend nach oben entwickeln, dann zeigt sich, dass dort sehr genau analysiert wird, was beim einzelnen Kind an Fördermaßnahmen ankommt. Das machen, glaube ich, die Länder, die nicht so gut dastehen, in dieser Konsequenz nicht.

Susanne Eisenmann, 52, trat mit 16 Jahren in die Junge Union ein. Seit Mai 2016 verantwortet die CDU-Politikerin das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg. 2017 ist sie zudem Präsidentin der Kultusministerkonferenz. (Foto: N/A)

Hamburg hat sich positiv entwickelt.

Ja, Hamburg stand bei Leistungsvergleichen früher schlechter da. Inzwischen analysiert man dort sehr genau. Die Schüler werden regelmäßig getestet, um zu sehen, wo sie stehen und wie man sie gezielt fördern kann.

Baden-Württemberg, wo Sie seit 2016 Kultusministerin sind, hat sich dagegen negativ entwickelt.

Baden-Württemberg war bei Leistungstests immer in der Spitzengruppe. Wir alle haben uns wahrscheinlich einfach zu lange darauf ausgeruht. Um die Qualität trotz der veränderten Rahmenbedingungen zu halten, hätten wir die Schulen weiterentwickeln müssen. Das wurde versäumt, und deshalb sind wir jetzt ins untere Mittelfeld abgerutscht, zum zweiten Mal in Folge. Das kann uns nicht zufriedenstellen.

Was werden Sie unternehmen?

Beispiel Sprachförderung: Die wird in allen Ländern gemacht, auch bei uns, mit hoher Intensität und mit insgesamt sehr viel Ressourcen. Wenn ich aber sehe, dass von 2011 bis 2016 die Sprachkompetenz bei der Rechtschreibung und beim Zuhören so deutlich abgesunken ist wie in Baden-Württemberg, dann muss ich fragen: Sind unsere Fördermaßnahmen wirklich wirksam? Das müssen wir analysieren.

Das klingt nach noch mehr Tests. Was tun Si e dagegen, dass Lehrer fehlen?

Wir sind mit circa 600 offenen Stellen ins Schuljahr gestartet, großteils bei den Grundschulen und bei den Sonderpädagogen. Jetzt sind es noch 300 bis 350 offene Stellen. Die Anfang der Fünfzigerjahre geborenen Lehrer gehen jetzt in den Ruhestand, das macht uns zu schaffen. Jetzt müssen wir mehr Studienplätze schaffen und verstärkt für den Beruf werben. Da, wo es gesetzlich möglich ist, werden wir auch weniger Teilzeit genehmigen.

Sachsen stellt viele Quereinsteiger ein.

Völlig fachfremde Lehrkräfte, die gar kein Lehrerstudium haben, werden wir nicht dauerhaft anstellen. Im Gegensatz zu Sachsen haben wir ein Qualitätsproblem in den Schulen, da brauche ich natürlich auch qualifiziertes Lehrpersonal.

Was, wenn der Bund den Ländern ein Investitionsangebot machen würde, für eine Qualitäts- und Personaloffensive?

Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Personalfragen liegen definitiv unter der Hoheit der Länder. Wenn der Bund meine 117 000 Lehrerinnen und Lehrer, die ich in Baden-Württemberg habe, inhaltlich führen und finanziell übernehmen möchte, dann wünsche ich ihm viel Glück, kann aber nur sagen, das Qualitätsproblem wäre damit definitiv auch nicht gelöst. Hier geht es um Bildungspläne und Pädagogik, dafür ist der Bund definitiv nicht zuständig.

© SZ vom 16.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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