Südwest-SPD:"Lieber Nils..."

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Nils Schmid profitiert doppelt vom derzeitigen Aufwärtstrend der SPD. (Foto: Franziska Kraufmann/dpa)

Nach dem Wahldebakel: Jetzt diskutiert die SPD in Baden-Württemberg über die Zukunft ihres Landeschefs. Auslöser ist ein Brief von mehreren Kommunalpolitikern.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Anfangs schienen sie nicht voneinander lassen zu können, die Grünen und die Roten. Er könne sich über den Sieg gar nicht richtig freuen, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann beim ersten Treffen nach der Wahl zu seinem Stellvertreter Nils Schmid, der ein historisch schlechtes Ergebnis von 12,7 Prozent nach Hause brachte. Am liebsten hätten sie mit der FDP als drittem Partner weiterregiert - doch mittlerweile gehen sie getrennte Wege. Die Grünen führen Koalitionsverhandlungen mit der CDU. Und die SPD widmet sich ihrer Trauerarbeit, mit dem erwartbaren Ergebnis: Schmid sieht sich mit Rücktrittsforderungen konfrontiert.

"Lieber Nils", so beginnt der Brief von baden-württembergischen Kommunalpolitikern, aber weiter geht es weniger freundlich. Das "unglaublich schlechte Abschneiden bei den letzten beiden Landtagswahlen hängt auch mit Dir als Spitzenkandidat zusammen", heißt es weiter. Schmid sei ein exzellenter Fachmann und integrer Mensch, könne aber Menschen nicht begeistern. "Diese Eigenschaft fehlt Dir - und das kann man auch nicht lernen", steht da kategorisch. Deshalb solle er sein Amt als Vorsitzender niederlegen und sich öffentlich von der Idee verabschieden, in fünf Jahren wieder als Spitzenkandidat anzutreten.

Von den Kommunalpolitikern, die die Debatte in die Öffentlichkeit getragen haben, spielte landespolitisch bislang keiner eine Rolle. Ingo Rust ist darunter, Schmids ehemaliger Staatssekretär, mittlerweile Finanzbürgermeister von Esslingen. Schmid will sich zu den Vorwürfen nicht äußern - offenbar im Vertrauen darauf, dass die Unterzeichner nicht für die Parteibasis sprechen, und dass es derzeit keine Alternative zu ihm gibt.

Die Personaldecke der Sozialdemokraten ist dünn geworden bei dieser denkwürdigen Wahl. Die neue Fraktion zählt nur noch 19 Köpfe, darunter zwei Frauen, und ist zweitstärkste Oppositionskraft hinter der AfD. Lediglich drei Minister aus der grün-roten Regierung werden im neuen Landtag vertreten sein, neben dem Wirtschafts- und Finanzminister Schmid noch der Kultusminister Andreas Stoch und der Innenminister Reinhold Gall. Alle anderen verpassten den Wiedereinzug ins Parlament, genau wie Claus Schmiedel, der bisherige Fraktionsvorsitzende.

Andreas Stoch solle den Fraktionsvorsitz übernehmen, Reinhold Gall den Parteivorsitz, wünschen sich die Kommunalpolitiker. Doch ob Gall wirklich die Partei einen kann? Er gilt als Vertreter der sogenannten Old Boys in der SPD, die Schmid seit Langem vorwerfen, er habe zu wenig Kante gegenüber den Grünen gezeigt. Die Partei-Linke wirft Gall vor, er habe als Innenminister zwei ihrer Herzensanliegen blockiert - die Kennzeichnungspflicht für Polizisten ebenso wie eine Wahlrechtsreform, die den Weg für mehr Frauen im Parlament hätte ebnen können.

In der Partei werden die Rufe nach einem Aufbruch laut - nur: in welche Richtung?

Mittlerweile gibt es etliche Solidaritätsadressen für Schmid, vom Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz ebenso wie von Juso-Chef Leon Hahn. Auch die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis als prominenteste Vertreterin der Partei-Linken fordert, zunächst einmal mit der Basis über eine inhaltliche und strukturelle Erneuerung zu reden. "Nichts darf mehr von oben nach unten bestimmt werden - das Gebot der Stunde ist, die Mitglieder zu hören", sagte sie. Allerdings findet auch Mattheis, der Aufbruch der Partei müsse sich am Ende in einem Personalwechsel niederschlagen. Das Problem: Wohin die Partei aufbrechen soll, weiß niemand so recht.

Laut Wahlanalysen gingen die Verluste der SPD zu zwei Dritteln auf das Konto der Grünen mit ihrem bürgerlichen Anführer Kretschmann und zu einem Drittel auf das Konto der AfD. Die Forschungsgruppe Wahlen ermittelte, auch unter der traditionellen SPD-Klientel der Gewerkschafter hätten knapp 30 Prozent die Grünen gewählt (SPD: 20), und 15 Prozent - wie im Landes-Schnitt - die AfD. Für einen dezidiert linken Kurs, den sich viele wünschen, finden sich schwerlich Argumente.

Nils Schmid fordert seine Partei auf, Ruhe zu bewahren und die Niederlage Schritt für Schritt zu verarbeiten. Nach einer Präsidiumssitzung an diesem Freitag ist eine Telefonkonferenz mit den Mitgliedern für den 12. April anberaumt. Für den 30. April ist eine Basiskonferenz aller Funktionsträger geplant. Der nächste Parteitag soll am 23. Juli stattfinden, allerdings sind bislang keine Neuwahlen vorgesehen. So viel steht jedenfalls fest: Bis zur nächsten Wahl wird die SPD sehr hart gegen Kretschmanns Grüne kämpfen.

© SZ vom 06.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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