Von der Hoffnung, mit der die jüngste Nation der Welt vor fünfeinhalb Jahren in die Unabhängigkeit aufbrach, ist inzwischen auch der letzte Rest verflogen: Wer kann, flieht aus dem Südsudan, die Menschen strömen in alle Himmelsrichtungen über die Grenzen. Im südlichen Nachbarland Uganda kommen täglich etwa 4000 Südsudanesen an, auch im östlich angrenzenden Äthiopien füllen sich die Flüchtlingslager. Im Kongo, selbst nicht gerade ein Hort der Stabilität, haben inzwischen Zehntausende Zuflucht gesucht und auch der nördliche Nachbar Sudan, von dem sich das Land nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg 2011 losgesagt hat, erscheint Zehntausenden inzwischen als vergleichsweise sicherer Hafen. Die Mehrzahl der Vertriebenen schafft es nicht einmal über eine Landesgrenze, sie verstecken sich in Sümpfen, im Busch oder drängen sich in einem der Camps der Vereinten Nationen zusammen. Von den elf Millionen Bürgern des Landes, schätzen die UN, sind inzwischen etwa drei Millionen auf der Flucht. Und es gibt keine Hinweise darauf, dass sich die Lage im Land in nächster Zeit entspannen könnte.
Im Gegenteil. Nach Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) sind in dem Land inzwischen etwa 3,6 Millionen Menschen von Hunger bedroht, etwa doppelt so viele wie vor einem Jahr, die Zahl dürfte im Lauf der kommenden Monate um eine weitere Million steigen. Dabei ist derzeit eigentlich Erntesaison in der Region - doch wegen der Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen sind die Bauern vielerorts gezwungen, ihre Felder brachliegen zu lassen. Das WFP appelliert deshalb an die internationale Gemeinschaft, die Hilfslieferungen für das Land auf ein "noch nie da gewesenes Niveau" aufzustocken. Schon jetzt können die Helfer allerdings Zehntausende Bedürftige nicht erreichen, weil die Straßen von Kämpfern beider Seiten belagert werden und weil die Helfer zunehmend selbst zum Ziel von Angriffen werden. Im Juli etwa attackierten Regierungssoldaten ein Hotel in der Hauptstadt Juba, in dem Mitarbeiter internationaler Organisationen untergebracht waren und vergewaltigten mehrere Frauen. Die UN-Blauhelme, die zu dem Zeitpunkt nur einen Kilometer entfernt stationiert waren, schritten trotz mehrerer Notrufe nicht ein und versagten darüber hinaus auch darin, Zivilisten vor einer Welle von Übergriffen zu schützen. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon entließ deshalb Anfang November den damals verantwortlichen Kommandeur der Blauhelme.
Die Vorweihnachtszeit ist Trockenzeit - dann werden auch die Panzer wieder rollen
Die Zunahme des Hungers rührt auch daher, dass nun auch die zuvor vergleichsweise stabile Region Equatoria von Kämpfen betroffen ist, wo der größte Teil der südsudanesischen Getreidefelder liegen. Für die kommenden Wochen ist nichts Gutes zu erwarten: Die Vorweihnachtszeit ist Trockenzeit, und wenn sich der Schlamm auf den überwiegend unbefestigten Straßen verfestigt, können Panzer und Truppen wieder in entlegenere Gebiete vordringen.
Nach Angaben von UN-Menschenrechtsermittlern werden Frauen im Südsudan immer häufiger Opfer von sexueller Gewalt. Massenvergewaltigungen würden inzwischen in Teilen des Landes als Instrument zur "ethnischen Säuberung" eingesetzt, sagte Yasmin Sooka, die Leiterin des Ermittlerteams Ende vergangener Woche nach einem Besuch in dem Land. Eine der befragten jungen Frauen in der nördlichen Stadt Bentiu hatte beispielsweise erzählt, Vergewaltigungen seien inzwischen "normal, sie passieren jeden Tag". Zudem werden dem Bericht zufolge gezielt Dörfer zerstört und die Bewohner ausgehungert. "Der Boden ist bereitet für eine Wiederholung dessen, was in Ruanda passiert ist", sagte Sooka, "und die internationale Gemeinschaft steht in der Pflicht, das zu verhindern". Auch der UN-Berater für Genozidprävention, Adama Dieng, hatte kürzlich gewarnt, angesichts der "extremen Polarisierung" zwischen den verschiedenen Volksgruppen drohe im Südsudan ein "Völkermord". Präsident Salva Kiir, dessen Truppen laut verschiedenen UN-Berichten vielerorts die Haupttäter sind, wies die Vorwürfe vergangene Woche zurück: "So etwas gibt es nicht im Südsudan. Es gibt keine ethnischen Säuberungen."
Die USA erneuerten ihre Forderung nach einem Waffenembargo - bislang stellen sich im UN-Sicherheitsrat Russland und China dagegen. Kritiker wenden ein, dass es dafür zu spät sei: Das Land sei von Waffen aller Art überschwemmt, die Hemmungen, sie zu benutzen, schwinden stetig. "Überall im Südsudan", berichtet Yasmin Sooka, "sagten uns Dorfbewohner, sie seien bereit, Blut zu vergießen, um ihr Land zurückzubekommen."