Suchtkranken-Helfer:"Rechtsanwälte entdecken Crystal"

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Ein Helfer aus Sachsen über den schwierigen Kampf gegen die Abhängigkeit.

Interview von CorneliUs Pollmer

SZ: Herr Bunde, Sie arbeiten bei der Suchtkrankenhilfe des Diakonischen Werks Sachsen. Die Zahl der Drogentoten dort hat sich im vergangenen Jahr fast verdreifacht, von 10 auf 27. Wie ist dieser Zuwachs zu bewerten?

Helmut Bude: Es gibt einen Anstieg, ja, das ist nicht zu leugnen. Man darf aber nicht vergessen, dass Sachsen im Vergleich eher wenig Drogentote zu verzeichnen hat.

Tatsächlich?

Es gibt die Belastungszahl, die die Zahl der Drogentoten pro 100 000 Einwohner angibt. Diese Zahl lag 2014 in Sachsen bei 0,2 und wird nun leicht ansteigen. Berlin hat 3,7, Hamburg 3,0 und Bayern 2,0.

Worauf führen Sie den Anstieg in Sachsen zurück?

Wir haben speziell ein Problem mit Crystal. 25 Prozent aller Abhängigen sind Crystal-abhängig, bei Heroin liegen wir bei vier Prozent. Deutschlandweit sieht das anders aus: 15 Prozent aller Abhängigen nehmen Heroin, sechs Prozent Stimulanzien wozu Crystal gehört.

Warum ist Crystal in Sachsen so weit verbreitet?

Das liegt an der Grenznähe zu Tschechien, wo sich Produktion und Handel konzentrieren, das merken Sie ja auch in Bayern. Man kann in den Zahlen eine Welle sehen, die von Tschechien erst massiv nach Bayern und Sachsen schlägt und die sich dann schwächer aber sichtbar nach Thüringen Brandenburg und Sachsen-Anhalt weiter ausbreitet.

Wie haben sich die Zahlen in den vergangenen Jahren entwickelt?

Vor fünf Jahren konsumierten nur neun Prozent aller Abhängigen in Sachsen Crystal. Wir hatten Jahre, in denen der Konsum um fast 50 Prozent zulegte - 2015 war es ein Prozent. Da merken wir, dass Öffentlichkeitsarbeit auch wirkt und dass nicht mehr so viele auf Crystal reinfallen. Wir behandeln aktuell 6000 Crystal-Abhängige jährlich ambulant und wir gehen davon aus, dass dieser Wert stabil bleibt. Trotzdem gibt es Veränderungen, die wir beachten müssen.

Welche sind das?

Der Anteil derer, die über eine lange Zeit konsumieren, zehn Jahre und mehr, nimmt zu. Das hat natürlich Konsequenzen, da brauchen wir mehr Geld, mehr Zeit, ein breiteres Instrumentarium von Beratungsgesprächen bis zu sozialtherapeutischen Wohnprogrammen. Um dem gestiegenen Crystal-Konsum zu begegnen, sind schon im letzten und in diesem Jahr jeweils zwei Millionen Euro zusätzlich im Haushalt eingeplant. Zum anderen gibt es eine Veränderung in der Altersstruktur, der Anteil der über 30-Jährigen in Abhängigkeit nimmt zu.

Es sind nicht mehr nur die klassischen Abhängigen?

Nein. Das sind meist Erwerbstätige in bestimmten Belastungssituationen, die Crystal als leistungssteigerndes Instrument entdecken. Wir haben Rechtsanwälte und Selbständige, die Crystal entdecken, das sieht in den alten Bundesländern schon wieder anders, da ist es häufiger Kokain. Und, drittens, Crystal wird immer häufiger in Kombination konsumiert, etwa mit Cannabis. Das Kalkül dahinter: Crystal putscht auf, Cannabis bringt runter.

Ist Ihnen ein Fall besonders in Erinnerung?

Es gibt einen jungen Mann, Crystal-abhängig, der hatte drei, vier, fünf Entgiftungsbehandlungen hinter sich. Dann kam eine Langzeittherapie - abgebrochen. Er kam in betreutes Wohnen - und konsumierte weiter. Dann wieder eine Entgiftung. Nächste Therapie - wieder abgebrochen. Er war schließlich hirnorganisch und körperlich nicht mehr in der Lage, drei Stunden am Tag einer einfachen Arbeit nachzugehen oder eine Therapie zu machen.

Wie alt?

Damals: 24 Jahre. Jetzt geht es langsam wieder aufwärts mit ihm.

© SZ vom 10.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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