Stuttgart:Reptilien am Gleis

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Sonniges Plätzchen: Mauereidechse auf dem Birkenkopf in Stuttgart. (Foto: Sina Schuldt/dpa)

Seltene Eidechsen müssen "Stuttgart 21" weichen. Die Bahn will sie auf eine kleinere Fläche umsiedeln. Das machen Umweltschützer nicht mit.

Von Claudia Henzler, Stuttgart

Die Stuttgarter Mauereidechse fühlt sich zwischen Schotter und Schienen besonders wohl. Die Deutsche Bahn, die in Stuttgart seit Jahren an einem neuen Bahnhof und dessen Zulaufrouten arbeitet, hat deshalb schon einige Erfahrung mit der Umsiedlung der streng geschützten Reptilien gesammelt. Da die Bahn wirtschaftlich handeln will, haben aber beim Projekt "Stuttgart 21" immer wieder Gerichte entscheiden müssen, wie viel Artenschutz unbedingt sein muss. Bei mehreren Bauabschnitten kam es zu Verzögerungen, weil die Bahn ihre Planungen zum Wohl der Natur nachbessern musste.

Derzeit läuft das Genehmigungsverfahren für das letzte Teilprojekt von "Stuttgart 21": Ein stillgelegter Güterbahnhof neben dem Daimlerwerk in Untertürkheim soll so umgestaltet werden, dass er den Durchgangsbahnhof sinnvoll ergänzt. Auf dem geplanten Abstellbahnhof sollen die Züge, die in Stuttgart enden, geparkt und gereinigt werden. Nach Schätzungen leben dort aber bis zu 5000 Mauereidechsen.

Nun ist die Stuttgarter Mauereidechse ebenso grazil, schlank und braun wie ihre Verwandten an Rhein und Mosel. Doch genetisch zeigt sie Eigenheiten. Das liegt daran, dass die einheimischen Tiere irgendwann in den vergangenen hundert Jahren angefangen haben, sich mit Artgenossen aus Südeuropa fortzupflanzen, die wahrscheinlich als blinde Passagiere auf Güterzügen ins Land kamen.

Diese Eidechsenart darf nur innerhalb der Stadt umziehen - damit sie sich nicht ausbreitet

Die Stuttgarter Population mit ihrem speziellen Genprofil wird heute auf etwa 140 000 Exemplare geschätzt. Wie andere Mauereidechsen auch stehen die Tierchen EU-weit unter Schutz, was Bauherren zunehmend Kopfzerbrechen bereitet. Bevor die Bagger anrücken, müssen sie den Eidechsen einen neuen Wohnort anbieten - und zwar innerhalb Stuttgarts, weil die Umweltbehörden verhindern wollen, dass sich die genetische Sonderform ausbreitet. Nun ist die Konkurrenz um verfügbare Flächen in der Stadt ohnehin hoch. Viele Bauwillige wünschen sich deshalb, dass der Schutz der Mauereidechse etwas lockerer gehandhabt wird.

Die Bahn weist gerne darauf hin, dass der Umzug einer Eidechse pro Tier bis zu 3000 Euro kosten könne. Naturschützer reagieren genervt auf solche Zahlen, weil sie Umsiedlungen skurril wirken lassen. Sie wollen die Eidechse auch als Indikator verstanden wissen: Wo die Reptilien auftauchen, leben meist noch viele andere Tiere wie Tagfalter, Heuschrecken und Wildbienen. Wer einen Lebensraum zerstört, so die Sicht der Naturschützer, müsse einen gleichwertigen schaffen - und zwar nicht irgendwo im Land, sondern in der Stadt.

Die Bahn will die Tiere am geplanten Abstellbahnhof zwar umsiedeln, die Ersatzfläche ist aber nur halb so groß wie der bisherige Lebensraum. Trotzdem gilt die Genehmigung als wahrscheinlich. Das zuständige Regierungspräsidium hat angesichts der hohen Zahl an Eidechsen in Stuttgart signalisiert, dass es eine Ausnahme befürwortet. Der Naturschutzbund will so einen Präzedenzfall verhindern und droht bereits mit einer Klage. "Stuttgart 21" wäre dadurch laut Bahn nicht gefährdet. Sie geht momentan davon aus, dass ihr genug Zeit bleibt, den Abstellbahnhof bis zur geplanten Eröffnung im Dezember 2025 fertigzustellen.

© SZ vom 17.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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