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Warum aus Banknachbarn häufig Freunde werden.

Von Bernd Kramer

Die entscheidende Frage zu Beginn eines Schuljahres ist die nach der Sitzordnung. Man kann Pech haben mit dem Banknachbarn. Da hockt man dann neben einem Querulanten, der sich weigert, unter dem Tisch Briefchen durchzureichen. Der stattdessen schimmelnde Pausenbrote hortet. Während der Klassenarbeit schreibt man bei ihm die falsche Lösung ab. Bald sieht man sich gezwungen, mit dem Bleistift eine Linie in der Tischmitte zu ziehen. Kein Buch, kein Füller darf in fremdes Territorium ragen, kein Span aus dem Anspitzer auf die andere Seite wehen.

Doch mit etwas Glück entspannt sich die Lage irgendwann, man beginnt zaghafte diplomatische Beziehungen. Die Gespräche werden zum Ärger der Lehrer während der Stillarbeitsphase vertieft, und irgendwann reißt das Radiergummi die Grenze ein. Fortan bekritzelt man das Inventar gemeinschaftlich.

Manches deutet darauf hin, dass sich Sitznachbarschaften in der Schule tatsächlich häufig zum Guten entwickeln - allen voran eine Studie, die soeben im Fachjournal "Plos One" erschienen ist. Die Psychologin Julia Rohrer von der Uni Leipzig und ihre Co-Autoren wollten wissen, ob sich nach dem Zufallsprinzip Freundschaften initiieren lassen, und verwickelten rund 182 Schulklassen in ein Experiment. Den Kindern, Dritt- und Achtklässler in Ungarn, wurden nach den Ferien ihre Banknachbarn zugelost. Am Ende des Halbjahres sollten sie angeben, mit wem aus ihrer Klasse sie befreundet sind.

Man gewöhnt sich halt aneinander

Und tatsächlich waren Schülerinnen und Schüler, die nebeneinandergesessen hatten, deutlich häufiger miteinander befreundet als andere Kinder. 22 Prozent aller Sitznachbarn benannten einander als Freund. Bei denen, die keinen Tisch geteilt hatten, lag die Wahrscheinlichkeit bloß bei 15 Prozent. Für Julia Rohrer ist das aus psychologischer Sicht nicht überraschend: "Wir wissen, dass wir positiver bewerten, was wir häufiger sehen und womit wir häufig zu tun haben." Man gewöhnt sich halt aneinander.

Wobei unter den Kindern schon recht klar ist, welche Art der Freundschaft auf keinen Fall geht: die mit dem anderen Geschlecht. Mädchen sind komisch, Jungs sind blöd, man geht sich aus dem Weg, und geht das nicht, zieht man eben eine Bleistiftgrenze, die streng bewacht wird. Die Wahrscheinlichkeit einer Freundschaft zwischen einem Jungen und einem Mädchen ist in der Altersgruppe gering - bei gerade einmal zwei Prozent lag sie. Doch selbst die unwahrscheinlichsten Freundschaften werden durch pure Banknachbarschaft wahrscheinlicher. Sitzen ein Junge und ein Mädchen nebeneinander, sind sie in gut vier Prozent der Fälle befreundet.

Forscherin Rohrer findet: Dass die Sitzordnung Gräben überbrücken kann, sollten sich Lehrkräfte zunutze machen, etwa indem sie weniger gute neben gute Schüler setzen. Sie selbst hat sich bei der Arbeit an der Studie an ihre Grundschulfreundin erinnert - mit der sie, wie es ihr aus erwachsener Distanz erscheint, so gar nichts verband. Wie fanden sie nur zusammen? Rohrer fiel wenig ein, ehe die Studie sie auf die Idee brachte. "Wahrscheinlich haben wir einfach nebeneinandergesessen."

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