Streit um Stuttgart 21:Kopfbahnhof, eingleisig

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Der Krimi-Autor Wolfgang Schorlau versammelt die Einwände der Gegner des Bahn-Projekts Stuttgart 21 in einem Buch. Die Flut der Argumente ist beeindruckend - aber es gibt einen Haken.

Sebastian Beck

Der Titel ist denkbar schlicht: "Stuttgart 21 - Die Argumente" heißt das Buch zum Protest, das jetzt bei Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. 250 Seiten über Kosten-Nutzen-Rechnungen, diverse Methoden der Tunnelbohrung, Demokratietheorie sowie über das Ankommen und das Abschiednehmen. Letzteres sollte am besten oberirdisch stattfinden, jedenfalls nach Meinung von Gangolf Stocker. Der Kunstmaler zählt zu den Wortführern der Stuttgarter Protestbewegung und ist einer von gut dreißig Autoren, die in dem Buch erläutern, warum sie das Milliardenprojekt ablehnen.

Das klingt zunächst nach einer eher zähen Lektüre. Andererseits bescherten die Live-Übertragungen der Schlichtungsgespräche in Stuttgart dem Nachrichtensender Phoenix in den vergangenen Wochen bis zu 1,5 Millionen Zuschauer. Aufwendig gedrehte Produktionen haben oft weit niedrigere Einschaltquoten als die schwäbische Politik-Doku. Das zeigt, dass sich das Publikum durchaus für faktenlastige Programme interessiert. Und es entspricht der Selbsteinschätzung der Protestierer in Stuttgart, die sich für besser informiert halten als ihre Gegner von der Bahn.

Die Texte im Buch wurden von Wolfgang Schorlau zusammengetragen, der sich als Autor politischer Kriminalromane einen Namen gemacht hat. Am 30. September war Schorlau auf Recherche im Stuttgarter Schlossgarten unterwegs, als er Zeuge des brutalen Polizeieinsatzes wurde. Hundert Demonstranten erlitten dabei zum Teil schwere Verletzungen, auch Schorlau bekam einen Hieb auf den Kopf. An diesem Tag hatte er die Idee zum Buch: Der Macht des Staates wollte er die Macht der Argumente entgegen setzen.

In dem eilig zusammengestellten Kompendium legen Verkehrsexperten, Architekten und diverse Aktivisten dar, weshalb sie gegen Stuttgart 21 sind, sich aber keinesfalls als Neinsager abstempeln lassen wollen. Viele ihrer Einwände sind bereits bekannt, einige davon wiederholen sich auch im Buch: Etwa die These, wonach die Kosten für den Bau des Tunnelbahnhofs und der ICE-Trasse nach Ulm viel zu niedrig angesetzt seien. Hier listet der Verkehrsplaner Martin Vieregg die Risiken nochmals im Detail auf. Oder das städtebauliche Argument, wonach das Neubauviertel auf dem Gelände des heutigen Bahnhofs ein Fremdkörper mitten in der City bleiben werde - eine Befürchtung, die in mehreren Beiträgen anklingt.

All das wird bereits seit Monaten oder gar Jahren kontrovers diskutiert. Aufschlussreich sind deshalb eher die Nebensätze und Details. So etwa das kurze Interview, das Herausgeber Schorlau mit einem Ingenieur geführt hat, der an der Planung von Stuttgart 21 maßgeblich beteiligt ist: Aus bahntechnischen Gründen werde der Tunnelbahnhof nicht gebraucht, sagt der Mann, dessen Name nicht genannt wird. Vielmehr gehe es dabei um die bestmögliche Verwertung der Flächen in der Innenstadt. Ein brutales Eingeständnis, das aber nur die Vermutungen der Projektgegner bestätigt.

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Angesichts der vielen unbestreitbaren Mängel bei der Planung von Stuttgart 21 taucht beim Lesen irgendwann die Frage auf: Auf welcher fachlichen Grundlage wurde überhaupt die Entscheidung für Stuttgart 21 getroffen? War es wirklich nur ein kleiner Zirkel aus Politikern und Bahnmanagern? Und warum werden all die Einwände seit Jahren ignoriert?

Eine ansatzweise Erklärung dafür liefert Klaus Arnoldi in seinem Aufsatz. Er ist Vorstandsmitglied des Verkehrsclubs Deutschland und hat das Konzept K21 zum Erhalt des Kopfbahnhofes ausgearbeitet. Er schreibt: "Die Planfeststellungsverfahren hatten nur ein Ziel: Stuttgart 21 durchzusetzen. In der Bürgerbeteiligung konnten nur noch Details zu Stuttgart 21 diskutiert werden." Arnoldi weist damit auf eine zentrale Schwäche bei der demokratischen Legitimierung hin: Das Verfahren zur Planfeststellung dient in erster Linie dazu, Baurecht zu schaffen. Um die ernsthafte Abwägung von Alternativen geht es dabei nicht. Dieser Versuch wurde erst jetzt in den Schlichtungsgesprächen unternommen - viel zu spät und ohne Erfolg.

Auffallend ist, wie fachkundig die Gegner von Stuttgart 21 in der Regel argumentieren. Nur würde der Leser auch gerne erfahren, was die Befürworter sagen - doch deren Positionen scheinen nur auf, um widerlegt zu werden. Diese krasse Einseitigkeit und das Ausblenden der eigenen Zweifel sind die großen Schwächen des Buchs: So werden darin beispielsweise alle Ungereimtheiten des K21-Konzepts unterschlagen. Gerne würde man auch einen Beitrag des Architekten Christoph Ingenhoven lesen: Für seinen Entwurf des Tunnelbahnhofs hat er sich schließlich auch mit der städtebaulichen Situation in Stuttgart auseinander gesetzt.

Am Ende drängt sich der Eindruck auf, dass die Befürworter von Stuttgart 21 nicht einmal einen Nagel in Wand schlagen könnten, ohne dass dies als Freveltat an der Stadt kritisiert würde. Womöglich kontert die Pro-Fraktion demnächst mit einem eigenen Buch, auch wenn dessen Seiten nur schwer zu füllen sein werden.

WOLFGANG SCHORLAU (Hrsg.): Stuttgart 21. Die Argumente. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 250 Seiten, 8,95 Euro.

© SZ vom 30.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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