Streit um Proteste gegen Stuttgart 21:Parkschützer: Polizist wollte provozieren

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Die Polizei spricht von einer "hochaggressiven Stimmung": Am Montagabend sollen Stuttgart-21-Gegner neun Beamte verletzt haben, einen davon schwer. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf versuchten Totschlag. Ganz anders die Darstellung der Parkschützer: Ein Zivilbeamter der Polizei habe sich unter die Demonstranten gemischt. Politiker mahnen zur Besonnenheit.

Roman Deininger, Stuttgart

Am Tag danach bietet sich ein friedliches Bild: Etwa 30 Demonstranten haben sich an der Baustelle des umstrittenen Bahnprojektes Stuttgart 21 versammelt. Der Protest verläuft ohne weitere Vorkommnisse, teilt die Polizei mit. Die Gruppe der Demonstranten rückt von der Straße, wenn sie dazu aufgefordert wird. Die Protestierer stehen am Fahrbahnrand und begrüßen jedes herankommende Baufahrzeug mit lauten Pfiffen.

Umgeworfener Bauzaun in Stuttgart: Am Montagabend eskalierten nach Darstellung der Polizei die Proteste gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21. (Foto: dapd)

Von der Aktion am Montagabend zeugen Anti-Stuttgart-21-Aufkleber auf den Rohren auf der Baustelle. Die Bahn hatte zuvor damit begonnen, die Stützen zu installieren, auf denen das Rohrsystem von der Baugrube zu den sogenannten Versickerungsbrunnen montiert werden solle.

Nach der traditionellen Montagsdemonstration zeichnete sich am Abend rund um den Stuttgarter Schlossgarten und das historische Bahnhofsgebäude ein weit weniger idyllisches Bild: Laut Polizei zogen etwa 1500 Demonstranten weiter zum Gelände des Grundwassermanagements. Aktivisten hätten den Bauzaun niedergerissen und das Gelände gestürmt, teilte die Polizei mit. Es seien Reifen zerstochen, Radmuttern abmontiert, Sand und Steine in die Benzintanks gefüllt, unzählige Kabel und Schläuche abgerissen sowie Wasserrohre zerstört worden. Es ist die Rede von Krawallen. Dabei sei nach Darstellung der Polizei ein "immenser" Schaden entstanden, dessen Höhe womöglich im siebenstelligen Bereich liege.

Neben der Polizeikette seien selbstgefertigte TNT-Böller gezündet worden. Acht Beamte hätten ein Knalltrauma erlitten und wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Ein Zivilbeamter sei schwer verletzt worden, als er einen Demonstranten kontrollieren wollte, der zuvor eine Sachbeschädigung begangen hatte. Mehrere Menschen hätten den Mann brutal zusammengeschlagen, berichten die Nachrichtenagenturen unter Berufung auf die Polizei. Er sei mit Kopf- und Gesichtsverletzungen ins Krankenhaus gebracht worden. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf versuchten Totschlags.

Darüber hinaus werde bei zwei festgenommenen Personen die Beantragung von Haftbefehlen wegen des Verdachts auf Landfriedensbruch erwogen, sagte Staatsanwältin Claudia Krauth weiter. Die beiden Personen waren aus einer größeren Menschenmenge heraus illegal in den Baustellenbereich eingedrungen und hatten dort einen Wasserturm bestiegen.

Parkschützer dementieren

Ganz anders die Darstellung der Initiative "Parkschützer": Bei dem Mann habe es sich um einen Provokateur der Polizei gehandelt. Die Demonstranten hätten ihn als Zivilbeamten enttarnt und dann "seinen uniformierten Kollegen" übergeben, sagte Matthias von Herrmann, der Sprecher der Parkschützer, der SZ. Kopfverletzungen hätte der Mann keine aufgewiesen. Auf der Videoplattform Youtube sind inzwischen Videos aufgetaucht, die die Schilderung der Parkschützer belegen sollten, wonach der Zivilbeamte handgreifliche Auseinandersetzungen provozieren wollte.

Während die Polizei von einer aggressiven und feindseligen Stimmung sowie großer Emotionalität des Protestes berichtet, schildern die Parkschützer die Geschehnisse am Montagabend folgendermaßen: Von einer feindseligen Stimmung könne keine Rede sein, vielmehr hätten in "gelöster Feierabendstimmung" etwa 1000 Protestierende ein "Stück ihrer Stadt wieder in Besitz" genommen.

Auch eine Dame mit grauen Haaren, die am Dienstag auf der Baustelle ausharrt und lieber anonym bleiben möchte, kann die Aufregung nicht verstehen. An ihrer grünen Windjacke trägt sie einen Anti-Stuttgart-21-Aufkleber: "Was ist schon das Umwerfen eines Bauzauns verglichen mit dem illegalen Bau eines Bahnhofs?", fragt sie.

Landesminister wollen beruhigen

Politiker mahnen derweil beide Seiten zur Besonnenheit: Baden Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann rief die Stuttgart-21-Gegner zum friedlichen Protest auf. Wenn es nicht gelänge, weiterhin friedlich und auf sachlichen Argumenten aufbauend die Auseinandersetzung um Stuttgart 21 zu führen, laufe man Gefahr, den Schlichtungsprozess zu konterkarieren, sagte er. "Gewalt ist in jeglicher Form - egal, ob gegen Menschen oder Sachen - unmissverständlich zu verurteilen und wird von der Landesregierung nicht toleriert."

Innenminister Reinhold Gall (SPD) warnte vor einer Eskalation des Konflikts wie im vergangenen Herbst, als die Polizei Wasserwerfer gegen die Demonstranten einsetzte: "Wir alle, das heißt wir als Polizei, wir als Politiker, aber auch Demonstranten, können dazu beitragen, dass eine solche Situation in Zukunft vermieden wird", sagte Gall dem SWR.

In der Nacht auf Dienstag rief Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), der als eingefleischter Stuttgart-21-Gegner gilt, dazu auf, zu gewaltfreien und zivilen Formen des Protestes zurückzukehren. "Gewalttätige Angriffe einzelner Demonstranten auf Polizeibeamte gehören nicht dazu", sagte er. Damit verspiele man die Sympathien bei den Menschen, die aus guten Gründen das Milliarden-Bahnprojekt ablehnen. "Gewalt schadet nicht Stuttgart 21, sondern dem Protest dagegen", fügte er hinzu.

Zuletzt waren Ende September 2010 mehr als 100 Demonstranten und auch etliche Polizisten vor den Baumfällarbeiten für Stuttgart 21 im Stuttgarter Schlossgarten verletzt worden.

© sueddeutsche.de/dapd/dpa/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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