Streit um Expertenkreis zu Antisemitismus:Den jüdischen Blickwinkel vergessen

  • Bundestag und Bundesregierung haben eine Expertenkommission zum Thema Antisemitismus in Deutschland eingerichtet.
  • Weil in dem Gremium kein einziger Experte jüdischen Glaubens sitzt, hagelt es Kritik.
  • Es gibt sogar die Forderung, den Expertenkreis wieder aufzulösen und ganz neu einzurichten.

Von Thorsten Denkler und Stefan Braun, Berlin

Es ist eine - sagen wir - erstaunlich gelassene Reaktion, die das Bundesinnenministerium noch am Morgen verbreiten lässt: "Die Frage der Religionszugehörigkeit einzelner Expertinnen und Experten", heißt es in einer vorbereiteten Sprachregelung, "war bei der Zusammensetzung des Expertenkreises kein fachliches Kriterium; im Vordergrund standen stets fachliche Erwägungen."

Fachliche Erwägungen, die dazu geführt haben, dass der gerade neu gegründete "Expertenkreis Antisemitismus" des Bundestages und der Regierung mit vielen namhaften Fachleuten besetzt wurde. Aber mit keinem einzigen Experten jüdischen Glaubens.

Jetzt ist der Glaube allein sicher kein Garant dafür, aus einem Experten für Antisemitismus einen noch besseren Experten für Antisemitismus zu machen. Aber der Blick auf das Thema aus einem jüdisch geprägten Blickwinkel dürfte auch für die Fachleute im Expertenkreis nicht von Schaden sein.

Der Schaden aber, den der Umstand eines nicht jüdisch besetzten Expertenkreises zu diesem sehr jüdischen Thema angerichtet hat, ist jetzt schon enorm. In der Jüdischen Allgemeinen Zeitung erklärt Julius Hans Schoeps, Gründungsdirektor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien (MMZ) in Potsdam, die Angelegenheit zu einem "einzigartigen Skandal".

Die Abgeordneten des Bundestages und der Bundesinnenminister müssten sich die Frage gefallen lassen, warum richtungsgebende deutsche Antisemitismusforscher in diesem Gremium fehlten, findet Schoeps. "Und wieso auf die Expertise und Beratung jüdischer Wissenschaftler und Fachleute aus den jüdischen Organisationen und Gemeinden offensichtlich kein Wert gelegt wird."

Die Kritik ist geballt und heftig

Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, gibt zu Bedenken: "Niemand käme auf den Gedanken, eine Konferenz zum Islamhass ohne muslimische Vertreter oder einen Runden Tisch zur Diskriminierung von Frauen ohne Frauen anzusetzen."

Die Kritik ist geballt und heftig. Das Bundesinnenministerium ist um Schadensbegrenzung bemüht. Ein Sprecher erklärte auf SZ-Anfrage, das Ministerium habe den Wunsch der jüdischen Verbände nach Entsendung eines Vertreters in den Expertenkreis "zur Kenntnis genommen und wird diesen Wunsch in Gesprächen mit den Verbänden und dem Deutschen Bundestag nun wohlwollend prüfen".

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