Straßburg:Menschenrechts-Klagen gegen die Türkei nehmen um 276 Prozent zu

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  • 5363 Beschwerden am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte betreffen den Putschversuch in der Türkei im Juli 2016.
  • Das sind mehr als die Hälfte aller Neueingänge.
  • Wenn sich das türkische Verfassungsgericht für nicht zuständig erklären sollte, könnte der Gerichtshof mit der Bearbeitung der vielen Fälle überfordert sein.

Klagen gegen die Türkei vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte haben im vergangenen Jahr massiv zugenommen. Die Anzahl der Beschwerden sei 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 276 Prozent gestiegen, sagte Gerichtspräsident Guido Raimondi in Straßburg. 5363 Beschwerden und damit mehr als die Hälfte der Neueingänge betreffen den Putschversuch.

In zwei dieser Fälle hatte der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Kläger erst vor das Verfassungsgericht in Ankara ziehen müssen. Der Verweis auf den nationalen Rechtsweg wäre aber nicht mehr möglich, wenn sich das türkische Verfassungsgericht für nicht zuständig erklären sollte, sagte Raimondi. "Der Gerichtshof in Straßburg würde dann von Zehntausenden Fällen überschwemmt."

Die Masse an Klagen könnte den Gerichtshof blockieren

Die türkische Richterin und Vize-Gerichtspräsidentin Işıl Karakaş hofft, dass das Verfassungsgericht in Ankara bald selbst über Klagen gegen die zahlreichen Verhaftungen und Entlassungen entscheidet. Sollte dies nicht passieren, "wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seinen Job machen - das sage ich klar", betonte sie. "Auch wenn es viel, viel Arbeit für uns wird."

Zugleich befürchte sie, dass die Masse an Klagen den Gerichtshof blockieren könnte: "Wir können nur hoffen, dass es eine Entscheidung auf nationaler Ebene gibt."

43 000 Menschen in Haft, 100 000 Beamte entlassen

Die türkische Führung macht den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch vom 15. Juli 2016 verantwortlich und geht gegen mutmaßliche Anhänger sowie Oppositionelle vor. Nach Regierungsangaben sitzen derzeit 43 000 Menschen wegen mutmaßlicher Verbindungen zu Gülen in Untersuchungshaft, fast 100 000 Staatsbedienstete wurden entlassen.

Vor Kurzem wurde die Gründung einer Kommission angekündigt, die auf Antrag unter anderem Entlassungen auf ihre Rechtmäßigkeit prüfen soll. Dabei handelt es sich allerdings nicht um ein Gericht.

© SZ.de/dpa/dayk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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