Strafmaß:Der Richter und sein Kronzeuge

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Haupttäter und Aufklärer in einem: Warum Christian L. nach elf Verhandlungstagen mit einem vergleichsweise milden Urteil davonkommt.

Von Ralf Wiegand

Zeigten zu keinem Zeitpunkt im Prozess Emotionen: Christian L. (links) und Berrin T. am Dienstag bei ihrer Ankunft im Gericht. (Foto: Ronald Wittek/Pool/EPE-EFE/Rex/Shutterstock)

Es waren vier quälende Monate. Seit April standen in Freiburg, Karlsruhe und Kiel sieben Männer und eine Frau vor Gericht, alle verbunden über ein pädokriminelles Netzwerk, das Ermittler zuvor so - zumindest in Deutschland - noch nicht enttarnt hatten. Opfer waren ein heute sechs Jahre altes Mädchen und ein heute zehn Jahre alter Junge. Beide waren von Berrin T. und deren Lebensgefährten Christian L. sexuell schwer missbraucht worden, den Jungen, den Sohn von Berrin T., verkaufte das Paar zudem übers Darknet an andere Männer, damit diese ihn vergewaltigen konnten. Dafür muss sie für zwölfeinhalb, er für zwölf Jahre ins Gefängnis. Zudem sprach das Landgericht Freiburg im Fall des Mannes Sicherungsverwahrung aus.

Es waren die vorerst letzten Urteile am Ende einer beispiellosen Prozessserie. In den Wochen zuvor hatte das Landgericht, jeweils unter dem Vorsitz von Richter Stefan Bürgelin, vier Männer verurteilt, die den Jungen bei dem Paar gebucht und missbraucht hatten. Sie müssen acht bis zehn Jahre in Haft, zwei von ihnen in Sicherungsverwahrung. Zwei weitere Männer, die den Missbrauch noch nicht vollzogen beziehungsweise ein anderes Kind geschändet hatten und durch einen Tipp von L. aufgeflogen waren, müssen für acht Jahre (und Sicherungsverwahrung) sowie sieben Jahre und drei Monate hinter Gitter.

Ihre Urteile nahm das Paar ungerührt zur Kenntnis. L. kaute Kaugummi, T. starrte ins Leere, während der Richter das Strafmaß begründete. Emotionen hatten beide Angeklagte zu keinem Zeitpunkt in dem elf Verhandlungstage dauernden Verfahren gezeigt.

Für solch schweren sexuellen Missbrauch, wie er in Staufen vorgekommen ist, sieht das Gesetz einen Strafrahmen von bis zu 15 Jahren vor. Richter Bürgelin schilderte noch einmal viele abscheuliche Details. Das kleine Mädchen, das T. und L. zuerst missbraucht hatten, und später T.s Sohn wurden auf besonders schwere Weise vergewaltigt. Sie wurden wie Ware gehandelt, beleidigt, erniedrigt, verängstigt, verletzt, zur Schau gestellt, belogen. Die Täter überhörten das Weinen und brachen den Willen der Kinder. Das Mädchen wurde mindestens vier Mal, der Junge viele Dutzend Mal missbraucht. Die Voraussetzungen, um den Strafrahmen auszuschöpfen, waren übererfüllt.

"Er hat weder sich noch andere geschont", sagt der Richter über den Verurteilten

Dass Christian L., der sich selbst stets als Haupttäter bezeichnete, mit zwölf Jahren davonkam, liegt an seiner Rolle in dem Verfahren: "Er war Kronzeuge", sagte Richter Bürgelin und lobte den Angeklagten beinahe überschwänglich. L. habe Taten verhindert, bei der Überführung von Tätern geholfen, er sei durch ganz Deutschland gefahren worden, um seine Aussagen zu machen. "Er hat weder sich noch andere geschont." L. nickte bisweilen zustimmend.

Das Gesetz sieht für solche Angeklagten, die Hilfe zur Aufklärung oder Verhinderung von schweren Straftaten leisten, einen Strafabschlag vor - einerseits als Belohnung, andererseits, um eine solche Mitarbeit zu fördern. Bürgelin hatte auch die anderen vier Verfahren in Freiburg geleitet. In den Medien, merkte er an, würden alle bisherigen Urteile als zu milde diskutiert; "aber sehen Sie es einmal so", sagte er in den voll besetzten Saal: "Für jemanden, der das nicht absitzen muss, sind zwölf Jahre wenig. Für jemanden, der sie verbüßen muss, ist es lang."

Hinzu kommt: Der Richter hat Sicherungsverwahrung gegen Christian L. verhängt; wenn er weiterhin als gefährlich gilt, kommt er auch nach verbüßter Haft auf absehbare Zeit nicht frei. L. hat durch seine Strategie vor Gericht, die auch Staatsanwältin Nikola Novak rückblickend als glaubwürdige Selbstreflexion und außergewöhnliche Mitarbeit des Angeklagten würdigte, angesichts der Taten offenbar das Maximum für sich erreicht.

Die Taten: Christian L. und Berrin T. spielten in dieser pädokriminellen Unterwelt, in der sie von 2015 bis zu ihrer Festnahme im September 2017 operierten, wohl sogar mit dem Leben des Kindes. Der spanische "Kunde" des Paares soll, das behauptet L., in einem Video aufgetaucht sein, in dem ein Mädchen getötet worden sein soll. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, allerdings ist ein solches Video bisher nicht gefunden worden. Einer der Kontakte des Paares hatte Tötungsfantasien, ein anderer ging brutaler mit dem Jungen um, als das abgesprochen war, ohne dass L. oder T. das verhindert hätten. Dass das Kind noch lebt, ist demnach wohl ein großes Glück.

Richter Bürgelin hält es für möglich, dass Christian L. diesmal eine Therapie annimmt. Aber wie glaubwürdig ist das? L. hat sich schon oft als reuig dargestellt und als unbelehrbar erwiesen. Auch nach seinen früheren Taten - Betrug, Besitz von Kinderpornografie, Missbrauch einer Jugendlichen und eines Kindes - gelobte er Besserung, gestand, gab sich therapiewillig.

Er hielt sich an nichts. Seine letzten Taten beging er sozusagen unter den Augen der Behörden. L. stand unter Führungsaufsicht, er war in einem speziellen Programm der Polizei für rückfallgefährdete Sexualstraftäter und in Therapie. All das hielt ihn nicht davon ab, Berrin T. dazu zu überreden, erst die dreijährige Tochter einer Freundin zu missbrauchen und dann T.s Sohn, von dem sich Christian L. Papa nennen ließ, zu quälen. L. erschlich sich ein wertvolles psychologisches Gutachten und gab auch nicht auf, als der Junge zeitweise in einer Pflegefamilie war. Ein notorischer Manipulator, Lügner, Gewalttäter und Kinderschänder, der bisher noch nie ein Versprechen eingehalten hat. Sein Geständnis wäre angesichts vieler Videos gar nicht nötig gewesen. Jedes Detail ist zu sehen, jedes Wimmern der Opfer zu hören.

Die letzten Taten beging der Mann sozusagen unter den Augen der Behörden

Berrin T. war hingegen strafrechtlich bisher unauffällig. Zur Aufklärung beigetragen hat sie nichts. Sie hat ihrem Sohn zudem schlimmere Schmerzen zugefügt, als dessen Vergewaltiger es getan haben. "Wir haben kein anderes Video gesehen, auf dem das Kind solche Schmerzen erlitten hat", sagte der Richter. Dass das Gericht dennoch auch hier unter der Höchststrafe blieb, begründete der Richter mit der schwierigen Lebensgeschichte der Frau; außerdem sei die Initiative für die Missbräuche von Christian L. ausgegangen.

Immerhin: Die Mutter hat das Urteil noch im Gericht akzeptiert. Sie wolle ihrem Sohn auf diese Art signalisieren, sagte ihr Anwalt, "dass es jetzt vorbei ist".

© SZ vom 08.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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