Strafjustiz:Immunität gilt nicht für Kriegsverbrecher

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Der BGH musste prüfen, ob ausländische Soldaten, die gegen das Völkerrecht verstoßen haben, eventuell in Deutschland vor Strafverfolgung geschützt sind. Das Urteil hat weltweite Signalwirkung.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Das Oberlandesgericht München hatte 2019 einen Oberleutnant der afghanischen Armee - im Bild eine Straßensperre nahe Kabul - verurteilt. Der BGH musste dieses Urteil nun erneut prüfen. (Foto: SHAH MARAI/AFP)

Nächstes Jahr wird das Völkerstrafgesetzbuch 20 Jahre alt, und längst ist es Quelle einer international beachteten Strafverfolgung. Derzeit verhandelt das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz im weltweit ersten Prozess wegen Staatsfolter in Syrien, gegen zwei mutmaßliche Mitglieder des dortigen Geheimdienstes; einer von ihnen soll für die Folter an Tausenden Häftlingen verantwortlich sein.

Mitten in diese juristische Erfolgsgeschichte platzte nun ein Verfahren des Bundesgerichtshofs (BGH). Gleichsam aus dem Nichts warf es eine Frage auf, die Prozessen wie jenem in Koblenz die Grundlage hätten entziehen können. Der dritte BGH-Strafsenat unter Vorsitz von Jürgen Schäfer prüfte, ob Angehörige ausländischer Streitkräfte - oder ausländische Hoheitsträger überhaupt - womöglich Immunität gegen ausländische Strafverfolgung genießen. An diesem Donnerstag konnte der Senat nun Entwarnung geben. Kriegsverbrecher und Völkermörder können in Deutschland vor Gericht gestellt werden, auch wenn sie ein offizielles Soldbuch einer staatlich anerkannten Armee bei sich tragen. "Aus rechtlicher Sicht war, ist und bleibt Deutschland nach wie vor kein sicheres Zufluchtsland für Personen, die gegen das Völkerstrafrecht verstoßen haben", sagte Schäfer bei der Urteilsverkündung.

Das Thema galt eigentlich seit den Nürnberger Prozessen als geklärt

Anlass der Entscheidung ist ein Urteil des OLG München von 2019. Es hatte einen Oberleutnant der afghanischen Armee zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt, weil er bei der Befragung Gefangene bedroht und geschlagen hatte. Zudem wurde er der Leichenschändung für schuldig gefunden, weil er die Leiche eines Taliban-Kommandeurs wie eine Trophäe an einem Schutzwall aufgehängt hatte. Der BGH hob das Urteil in einem Punkt auf, nun muss über die Höhe der Strafe neu entschieden werden.

Doch das war nur ein Nebengleis. Kern des Verfahrens war die Reichweite der Immunität, also ein Thema, das man eigentlich seit Jahrzehnten als geklärt ansehen durfte. Dass ausländische Staatsbedienstete, die einer "hoheitlichen Tätigkeit" nachgehen - Soldaten oder eben Geheimdienstler -, keinen Schutz vor einer völkerstrafrechtlichen Anklage genießen, hatte sich seit den Nürnberger Prozessen durchgesetzt. Auch bei den Tokioter Prozessen gegen japanische Kriegsverbrecher war das so und ist so geblieben, sowohl bei der strafrechtlichen Aufarbeitung der Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien als auch in Ruanda.

Die deutsche Haltung sei eindeutig, so der Richter

Dass nun Zweifel daran auftauchen, ob die Immunität nicht doch zu weit reicht, hat mit einer Debatte auf internationaler Ebene zu tun. Vom Zaun gebrochen hat sie offenbar ein russisches Mitglied der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen. Die Berichte der Kommission wurden 2017 im Rechtsausschuss der UN-Generalversammlung diskutiert. Liest man die Debatte nach, dann stößt man durchaus auf kontroverse Positionen. Auch die Position der deutschen Vertreterin im Ausschuss sorgte für Unklarheit - wobei ihre Einwände offenbar eher rechtstechnischer Natur waren und keine Abkehr von den gefestigten Grundsätzen bedeuteten.

So jedenfalls hat der BGH die Äußerungen verstanden. Der Senatsvorsitzende Schäfer begründete in aller Ausführlichkeit, dass der international sehr weit gespannte Konsens zur Ahndung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und weiterer Straftaten Bestand hat. Weder die internationale Staatenpraxis noch die Justiz anderer Länder - Schäfer zitierte belgische, spanische, niederländische, italienische Gerichte - ließen daran einen Zweifel offen. Und dass die deutsche Haltung dazu eindeutig sei, habe zuletzt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im November bekräftigt, am 75. Jahrestag der Nürnberger Prozesse. Ein so klarer Konsens, so Schäfer, dass der BGH nicht noch das Bundesverfassungsgericht habe anrufen müssen.

Ändert sich sich dennoch etwas nach dem Urteil aus Karlsruhe? Christoph Barthe, Vertreter der Bundesanwaltschaft, erwartet, dass der Richterspruch weltweit Beachtung finden wird. Denn wie Deutschland mit dem Völkerstrafrecht umgehe, werde in vielen anderen Ländern intensiv beobachtet. Und für Deutschland bedeutet es, dass Prozesse gegen die Folterknechte von Baschar al-Assad nach wie vor möglich sind.

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