Stickoxid:Luftnummer

Lesezeit: 2 min

Die Regierung beruft einen Dieselgipfel ein und erfindet ein "Sofortprogramm saubere Luft", sie lässt Modellstädte austesten, was sich alles für bessere Luft machen lässt. Und hat bei alledem nur ein Ziel: Zeitgewinn.

Von Michael Bauchmüller

Mal angenommen, eine Industrieanlage stößt über Jahre gesundheitsschädliche Gase aus. Die Behörden werden darauf aufmerksam, doch unternehmen wollen sie nichts: weil die Firma ein "Modellprojekt saubere Luft" versprochen hat. Oder so: Die Polizei wird wiederholt zur Wohnung eines Ruhestörers gerufen. Eingreifen will sie aber nicht: Er verspricht nämlich ein "Sofortprogramm Lärmschutz".

So ähnlich verhält es sich mit deutschen Regierungen und dem Stickstoffdioxid. Sie berufen Dieselgipfel ein und erfinden ein "Sofortprogramm saubere Luft", sie stellen in Brüssel kostenlosen Nahverkehr in Aussicht und lassen in Deutschland Modellstädte austesten, was sich alles für bessere Luft machen lässt. Der Grenzwert für Stickoxid gilt seit 2010, seit sieben Jahren wird er in vielen deutschen Städten gebrochen. Jetzt aber, da Gerichte Fahrverbote erlauben und die Brüsseler EU-Kommission auf die Einhaltung der Grenzwerte pocht, verfällt die Bundesregierung in sofortprogrammgewordenen Aktionismus. Sie reiht Luftnummer an Luftnummer, hat aber nur ein Ziel: Zeitgewinn.

Die Städte können für das Problem nichts; ohne die massenhaften Diesel-Tricksereien der Autohersteller hätten sie es vermutlich gar nicht. Dennoch haben fünf deutsche Modellstädte am Donnerstag brav ihre Ideen für bessere Luft nach Berlin gemeldet. Sie reichen von Zuschüssen für Elektrofahrräder bis zu verbilligten Tickets im Nahverkehr, von Prämien für Auto-Aussteiger bis zur sauberen Kommunalflotte. Letztendlich werden aber auch sie nur Teil des großen Spiels auf Zeit: Bis die Vorhaben bewertet und genehmigt sind, bis der Bund Geld für die Pilotprojekte lockermacht, ziehen Monate ins Land. Bis die "Modelle" auf andere Städte übertragen sind, vergehen Jahre.

Es sind Monate und Jahre, in denen keine flächendeckenden Fahrverbote für alte Diesel und keine blauen Plaketten für saubere Autos kommen werden, in denen die Autohersteller keine Nachrüstung an ihren Motoren vornehmen müssen, auch wenn diese um ein Vielfaches mehr Stickoxid ausstoßen, als zulässig ist. Die Bundesregierung, zur Einhaltung von Recht und Gesetz verpflichtet, dehnt die Grenzwerte, dass einem schwindlig wird. Machte das Schule, dann würde so etwas wie ein Tempolimit zum bloßen Richtwert. Dann könnte sich jeder Verkehrssünder darauf hinausreden, er bemühe sich künftig um eine vernünftige Fahrweise. Wozu schon Grenzwerte?

Um Zeitgewinn geht es auch bei den geplanten Fahrverboten an einzelnen Straßen - natürlich vor allem solchen mit Messstationen. Tatsächlich dürften dort die Stickoxid-Werte fallen. Drei Straßen weiter steigen sie; nur fehlt da die Messstation. Bis das aber auffällt, verstreicht Zeit. Und bis Brüssel durchgreift, mit teuren Strafen, dauert es. Nur die Stadtluft, die bleibt vielerorts mies.

Die amtliche Hinhaltetaktik könnte sogar aufgehen. Schon durch die allgemeine Verunsicherung stoßen viele Dieselfahrer ihre Autos ab. So erneuert sich die Flotte schneller als angenommen, werden die Autos sauberer. Das alles sehr zur Freude der Autoindustrie, die dieser Tage wieder stolze Gewinne präsentiert und mit "Umweltprämien" Käufer lockt. Sie verdient sogar noch an dem Problem, das sie selbst geschaffen hat. Die Bundesregierung, die neue wie die alte, schaut zu.

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: