Steuern:Der ewige Soli

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Die Abgabe hat ihren Zweck beim Aufbau Ost erfüllt und sollte jetzt komplett abgeschafft werden. Verweigert der Staat das, so verspielt er bei den Bürgern viel Glaubwürdigkeit.

Von Detlef Esslinger

Es dürfte kein Zufall sein, dass der sozialdemokratische Bundesfinanzminister seine Pläne zum Abbau des Soli am vergangenen Wochenende öffentlich gemacht hat. Auch der Generalsekretär der CDU wird sich etwas dabei gedacht haben, als er eine Kabinettsentscheidung dazu noch für diesen Monat in Aussicht stellte - "damit das Geld schnell bei den Bürgern ankommt". In knapp drei Wochen stehen die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen an. SPD und CDU können freundliche Schlagzeilen derzeit noch besser brauchen als sonst; da gehört es quasi zum Handwerk, jetzt mit dieser Nachricht zu kommen, und nicht Mitte September. Wie sagte Helmut Kohl, damals Bundeskanzler, Mitte der Neunzigerjahre? "Der Solidaritätszuschlag ist bis Ende 1999 endgültig weg." Nun wird's Ende 2020. Nun ja, so halb.

Die Geschichte des Soli ist eine, die zahlreiche Klischees über Politiker und den vermeintlich gefräßigen Staat bedient. Im Jahr 1902 erfand der Reichstag die Schaumweinsteuer, um den Ausbau der Kaiserlichen Marine zu bezahlen; im Unterschied zu Wilhelm II. und den Schiffen gibt es sie noch immer. Konnte man also Mitte der Neunziger wirklich glauben, dass ein Zuschlag auf die Einkommensteuer nur für ein paar Jahre erhoben würde? War damals nicht längst klar, dass die Landschaften im Osten keineswegs so schnell blühen würden, wie der Kanzler der Einheit es versprochen hatte? Und hatte nicht, ganz grundsätzlich, der Staat zu wenig Geld für zu viele Aufgaben, um nach ein paar Jahren einfach so wieder auf den Zuschlag zu verzichten; also ausgerechnet dann, wenn die Leute sich an ihn gewöhnt haben?

Inzwischen blüht vieles im Osten - zumindest so viel, dass der zu seinem Aufbau vereinbarte "Solidarpakt II" zwischen Bund und Ländern am Jahresende ausläuft. Auf diesen Anlass reagiert Finanzminister Olaf Scholz, indem er den Soli für 90 Prozent der Steuerzahler ganz streichen will. Weitere 6,5 Prozent sollen künftig nur noch einen ermäßigten Zuschlag zahlen, und lediglich für 3,5 Prozent - die aber die Hälfte des Aufkommens beitragen - soll sich an dessen Höhe nichts ändern. Eine erfreuliche Nachricht? Nicht wirklich.

Würde der Fiskus den Soli jetzt streichen, gäbe er all den Skeptikern eine Antwort

Mit der Frage, ob die Pläne der Regierung eigentlich mit dem Grundgesetz übereinstimmen, soll und wird sich das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Etliche Klagen sind bereits angedroht. Die FDP und der Bund der Steuerzahler argumentieren: Indem der Solidarpakt ausläuft, gibt es auch die Sonderlage nicht mehr, die den Soli so lange gerechtfertigt hat. Das Finanzministerium hingegen weist darauf hin, dass der Aufbau Ost trotzdem nicht zu Ende ist - und dass das Grundgesetz nirgendwo vorschreibt, eine Ergänzungsabgabe (was der Soli ist) unbedingt zu befristen. So zutreffend Letzteres sein mag: Der Soli muss weg, und zwar komplett.

Natürlich kann man sich damit begnügen, die Diskussion über ihn unter Verweis aufs Grundgesetz zu führen. Aber wer das tut, hat die Dimension des Themas nicht verstanden. Fairness wäre der bessere Aspekt. Kaum ein Bürger dürfte den Soli je anders interpretiert haben denn als vorübergehende Abgabe zur Erfüllung eines konkreten Zwecks, des Aufbaus Ost. Sollte er nun auf Dauer bleiben, wenn auch nur für eine relativ kleine, relativ wohlhabende Gruppe, ist dies ein Verstoß gegen eine gesellschaftliche Abmachung - die sich bald rächen könnte.

Derzeit wird zur Rettung des Klimas eine CO₂-Steuer erwogen. Viele Politiker und Wissenschaftler sagen, diese solle lediglich das Verhalten der Leute lenken, sie jedoch unterm Strich keineswegs finanziell belasten oder dem Staat klammheimlich zusätzliche Einnahmen liefern. Und sehr viele Menschen können das kaum glauben. War ihnen das nicht einst auch vor Einführung der Ökosteuer erzählt worden? Und seitdem tanken sie, um die Rentenkasse zu füllen. Der Fiskus steht im Ruf, immer ein einnehmendes, aber selten ein steuerndes Wesen zu sein. Den Beweis des Gegenteils hat er für viele Bürger erst noch zu erbringen. Würde er den Soli jetzt streichen, gäbe er all den Skeptikern eine Antwort. So jedoch gibt er ihnen neue Nahrung. Wer im einen Fall trickst, dem traut man es auch im anderen zu.

Nichts ist dagegen zu sagen, Wohlhabende auch künftig stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen als Ärmere. Das muss sogar so sein - und es ließe sich handwerklich sauber regeln: über die reguläre Einkommen-, die Erbschaft- oder doch wieder die Vermögensteuer. Aber weil die SPD weiß, dass sie eine Erhöhung von Steuersätzen oder die Wiedereinführung einer stillgelegten Steuer nicht durchsetzen wird, will sie nun einem Zuschlag das ewige Leben schenken, für den es vor 25 Jahren eine Begründung gab. Und weil die Union nur sagt, dass der Soli weg muss, aber nicht, wie sie denn den Ausfall von 19 Milliarden Euro kompensieren will, wird das mit dem ewigen Leben genauso kommen.

© SZ vom 13.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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