Stephan Weil:Plötzlich gefragt

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Auf einmal ist er eine ganz große Nummer, dabei galt der spröde Teetrinker lange als zu farblos. Nach dem Sieg seiner SPD in Niedersachsen ist er in der Partei obenauf.

Von Peter Burghardt, Hannover

Premiere: Erstmals in seiner Zeit als SPD-Bundesvorsitzender konnte Martin Schulz (links) einen Parteifreund zu dessen Wahlsieg beglückwünschen. Auf Stephan Weil (Mitte) kommen nun wohl auch neue Aufgaben zu. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Sozialdemokraten können dank Stephan Weil jetzt sogar wieder singen, dabei waren sie zuletzt aus der Übung geraten. "So sehen Sieger aus", johlten die Genossen in roten T-Shirts, als ihr Ministerpräsident am Sonntagabend die Bühne der SPD-Wahlparty in Hannovers Alten Rathaus erklomm.

Der Sieger sieht so aus: Niedersachsens Regierungschef trug seine randlose Brille und zum dunkelblauen Anzug eine rote Krawatte, die er nur für sozialdemokratische Hochämter anlegt. "Sturmfest und stark", stand auf dem Wahlplakat hinter ihm, ein entscheidender Spruch in dieser verblüffenden Geschichte.

Am Montagmorgen reiste Weil dann gleich aus seinem Beritt hinaus in die Welt, zur noch größeren und wichtigeren Feier in der SPD-Zentrale in Berlin. Er hat es nun über Nacht zum neuen Star der hilfebedürftigen Gesamtpartei gebracht. Die SPD gewinnt seit einiger Zeit eher selten, unter ihrem Vorsitzenden Martin Schulz hatte sie 2017 fünfmal hintereinander verloren. Weils Triumph ist der erste Erfolg der Ära Schulz, und erstmals seit 1998 ist die SPD in Niedersachsen wieder Spitze - erstmals seit Gerhard Schröder, dem heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden von Rosneft und Hannover 96. Der wurde wenig später Bundeskanzler. "Das ist einer der ganz großen Abende in der Geschichte der niedersächsischen Sozialdemokratie", rief Weil in den Saal. An diesen Wahlkampf werde man sich ewig erinnern.

Als sein einziger Akt der Rebellion bislang galt der Austritt aus der katholischen Kirche

Das ist gut möglich, denn dieser Wahlkampf hatte Stephan Weil verwandelt. Anfang August trat er wütend und entschlossen vor die niedersächsische Staatskanzlei. Die Grünen-Abgeordnete Elke Twesten war soeben zur CDU gewechselt und hatte Rot-Grün den entscheidenden Sitz im Landtag geklaut, Weils Minimehrheit war dahin. Rücktritt? "Ich stelle mich sehr gerne jederzeit dem Wählerwillen", sprach der SPD-Ministerpräsident. "Aber ich werde einer Intrige nicht weichen."

So ging es los. In Umfragen lag Weil damals bis zu zwölf Prozentpunkte hinter Bernd Althusmann, seinem Herausforderer aus der CDU. Zweieinhalb Monate danach hat er jetzt 36,9 Prozent der Stimmen erobert, 3,3 Prozent mehr als Althusmann, also binnen zehn Wochen mehr als 15 Punkte aufgeholt. Am Ende kamen ihm diese vorgezogenen Neuwahlen sogar entgegen, geplant gewesen war Januar 2018.

Sein letztlich blasser Widersacher Althusmann litt offenbar mehr unter dem Debakel bei der Bundestagswahl als er. Bei Weil dagegen scheinen die Niederlage der Bundes-SPD, der Zerfall der großen Koalition und der Fall Twesten einen umgekehrten Effekt ausgelöst zu haben: Der Amtsinhaber kam in Schwung. Er schaffte es sogar, die VW-Dieselaffäre kleinzuhalten, obwohl ihm Althusmann vorwarf, als VW-Aufsichtsrat seine Aufsichtspflicht missachtet zu haben. Vielleicht wirkte Weil kurz zu weich und zu nett, als der Betrugsskandal des Konzerns ans Licht kam. Aber die meisten Niedersachsen wissen, dass Niedersachsens Regierungspolitik durch das VW-Gesetz auch unter CDU/FDP mit Volkswagen verbandelt war.

Der erst unauffällige und angeschlagene Weil wuchs, als er im Schnelldurchlauf durch das weite Bundesland von Termin zu Termin eilte. "Auf ein Wort mit Stephan Weil" hießen seine Bürgersprechstunden. Das prägte sein Image als volksnaher Landesvater, der 58-jährige Hobbyläufer und Teetrinker sprintete zu Kaffeerunden oder Bierabenden. Sah und hörte man ihm in einem Gewerkschaftsraum mit Verdi-Chef Frank Bsirske, in einer Halle mit Martin Schulz oder in einem Café mit Nachbarn zu, dann spürte man, wie er in Form kam.

Weil und die SPD in Niedersachsen machten vieles von dem richtig, was andere falsch gemacht hatten. Sie kämpften. Das WEIL auf den Wahlpostern funktionierte und zum Schluss auch die rot-weiße Retro-Version mit der zackigen Aufforderung "Am Sonntag SPD wählen!", besonders bei älteren Wählern. Das klang wie "keine Experimente" einst bei Adenauer.

Die Bilanz des rot-grünen Kabinetts ist durchaus besser, als Gegner behaupten. Stephan Weil bewies auf einmal Charisma, lange Zeit hatte der Freund von Literatur und Ironie als eher unscheinbar gegolten, als diszipliniert statt mitreißend. In die etwas größere Politik geraten war er erst 2006, als Bürgermeister von Hannover, 2013 folgte der Umzug in die Staatskanzlei. Zuvor hatte der Jurist als Ministerialrat gedient und als Kämmerer im Rathaus. Zu seinen wenigen Rebellionen gehört der Austritt aus der Kirche, als katholischer Christ fühlt er sich trotzdem.

Auf einmal ist dieser Weil eine große Nummer, auch in der Bundes-SPD. "Sehr engagiert" will er sich in den Erneuerungsprozess der SPD einbringen. Selbst CSU-Chef Seehofer lobt ihn. Dennoch blieb Weil in seinem schönsten Moment als Politiker meist cool. Er braucht neue Partner, gerne für ein Ampel-Bündnis mit Grünen und FDP, "es wäre eine Koalition der progressiven Kräfte". Sein Talent als Vermittler wird gefragt sein. Der Fußballfreund Weil brachte seine niedersächsischen Mitstreiter am Sonntagabend sogar dazu, wie im Stadion la ola zu proben, die Welle - mit Doris Schröder-Köpf und Boris Pistorius, seinem Innenminister. Stephan Weil, der neue Entertainer der SPD.

© SZ vom 17.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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