Spesenskandal in Großbritannien:Die Rache eines Beamten

Lesezeit: 2 min

Der Daily Telegraph enthüllt, dass ein Regierungsbeamter die Details des Spesenskandals verraten hat. Er war dafür zuständig, die Belege und Quittungen zu kopieren.

Wolfgang Koydl

Für viele britische Soldaten war es ein willkommener Nebenjob, mit dem man - zwischen zwei Einsätzen in Afghanistan - ein paar Pfund extra dazu verdienen konnte. Die einen brauchten das Geld, um Weihnachtsgeschenke für die Kinder zu kaufen, andere besorgten sich im Fachhandel Schutzwesten und andere Ausrüstungsgegenstände, die das Verteidigungsministerium der kämpfenden Truppe nicht bereitstellte - aus Geldmangel, wie es immer hieß.

Der Job bestand darin, Regierungsbeamte zu schützen, die an einem geheimen Ort in Süd-London Spesenquittungen und -belege von Unterhausabgeordneten sortierten, fotokopierten und überprüften. Über kurz oder lang konnte es nicht ausbleiben, dass die Soldaten Vergleiche zogen zwischen dem kargen Sold, für den sie Kopf und Kragen im Krieg gegen die Taliban riskierten und den dampfenden Fleischtöpfen, aus denen sich ihre gewählten Vertreter bedienten.

So groß war ihr Zorn, dass allmählich bei ihnen, aber wohl auch bei einem der sich mit den Soldaten solidarisierenden Beamten, der Entschluss heranreifte, diese Informationen zu veröffentlichen.

Die Folge war wochenlang auf der Titelseite des Daily Telegraph zu sehen: Tag um Tag enthüllte die Zeitung pikante und peinliche Kleinigkeiten des Spesen-Unwesens der Parlamentarier - von den 36 Pfund, die Premier Gordon Brown als Kosten für einen TV-Sportkanal abrechnete, über die gestutzte Glyzinienhecke des Oppositionsführers bis hin zur Reinigung eines Burggrabens oder dem Bau eines Entenhauses, die sich Abgeordnete vom Steuerzahler erstatten ließen.

16.000 Pfund Lohn für Soldaten

Vom ersten Tag an war über die Identität der Quelle spekuliert worden, die dem Telegraph die Informationen gesteckt hatte, und kurzfristig ließ die Parlamentsverwaltung sogar nach dem Tippgeber fahnden. Nun hat die Redaktion zwar keinen Namen genannt, aber immerhin preisgegeben, dass es einer der mit der Bearbeitung der Unterlagen beauftragten Beamten war, von dem sie die Computer-CD mit den Spesenangaben aller Unterhausabgeordneter in den vergangenen vier Jahren erhalten hatte.

Die Enthüllung fiel zeitlich zusammen mit der Vorstellung eines Buches über den Spesenskandal, der das politische Establishment Großbritanniens nachhaltig erschüttert hatte.

"Es ist nicht leicht, in den Fernsehnachrichten Bilder von einem in einen Union Jack gehüllten Sarg zu sehen", erklärte der ungenannte Staatsbeamte nun, "und am nächsten Tag zur Arbeit zu kommen und im Computer zu sehen, was die Abgeordneten für sich selbst nehmen." Derweil Soldaten in Afghanistan für bescheidene 16.000 Pfund im Jahr "Königin und Vaterland" verteidigten, verdienten die Parlamentarier 65.000 Pfund - "plus massiger Spesen". "Das war unser Geld, und sie waren de facto unsere Angestellten, aber niemand konnte sie zur Rechenschaft ziehen", fügte er hinzu. "Deshalb habe ich die Informationen lanciert."

Zeitungen, die Parteien vernichten wollten

So schlüssig die Argumentation vielleicht klingen mag, Premierminister Gordon Brown konnte sich ihr nicht anschließen. "Nein, ich glaube nicht", antwortete er auf eine Journalistenfrage, ob er die Motive des Tippgebers nachvollziehen könne. "Abgeordnete müssen an zwei Orten gleichzeitig leben, das ist ein großes Problem", fügte er hinzu. Der größte Teil des Spesenmissbrauchs befasste sich mit erschlichenen Beihilfen für echte oder fiktive Zweitwohnsitze der Parlamentarier in London.

Ein Schatten fällt freilich auch auf die britische Presselandschaft, wie der PR-Agent Henry Gewanter verriet. Er war von dem Beamten als Mittelsmann eingesetzt worden, der die CD den Medien anbieten sollte. "Ich glaubte, dies wäre eine sehr einfache, geradlinige Aufgabe: an eine anständige Zeitung herantreten, und das war's dann schon", sagte er. "Aber zu meiner großen Überraschung entpuppte es sich als das schwierigste, komplizierteste und langwierigste Projekt meines ganzen Lebens."

Mehrere Blätter seien angesprochen worden. Aber das Problem war nicht, dass sie die Brisanz (und den auflagensteigernden Wert) der Informationen nicht erkannt hätten. Sie weigerten sich nur, die Bedingung der Informanten zu erfüllen und Details über alle betroffenen Parteien zu veröffentlichen. "Eine Zeitung", so Gewanter, "wollte gezielt eine bestimmte Partei vernichten." Einzig der Daily Telegraph stimmte zu - und deckte Britanniens größten Skandal seit Jahrzehnten auf.

© SZ vom 26.09.2009/maz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: