SPD:Weitermachen

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Er sprach, sie schwieg erkältungsbedingt: die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken and Norbert Walter-Borjans am Montag in Berlin. (Foto: Christian Mang/REUTERS)

Die Sozialdemokraten wollen in der Regierung bleiben, betont die Parteiführung. Leicht wird das nicht. Das Zerwürfnis beim Regierungspartner sei groß, sagt Walter-Borjans.

Von Mike Szymanski, Berlin

Als die Nachricht von Annegret Kramp-Karrenbauers Rückzug die SPD erreicht, sitzt die Parteispitze im Willy-Brandt-Haus in der Vorstandsklausur zusammen. Auf der Tagesordnung steht die Jahresplanung. Dann liest Generalsekretär Lars Klingbeil vor, was sich laut Nachrichten ein paar Kilometer entfernt gerade bei der CDU tut: Es ist ein Moment, in dem die SPD-Führung nicht so recht weiß, ob sie erleichtert oder geschockt sein soll.

2019 hatte die Führungsriege selbst große Unsicherheit ausgelöst, als sie erst Andrea Nahles von der Parteispitze verdrängte und sich dann ein halbes Jahr lang auf die Suche nach neuen Chefs begab. Nun aber wollten die neuen Vorsitzenden, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, doch eigentlich richtig loslegen - und zwar in der großen Koalition. Das war anfangs gar nicht so klar gewesen. Die SPD also hat sich in den ersten Wochen des Jahres 2020 sortiert, doch die Jahresplanung ist trotzdem hinfällig: In der Partei wären sie schon froh, wenn sie wüssten, was in den nächsten Wochen bei der CDU passiert. Am Nachmittag treten die Parteichefs vor die Kameras, Walter-Borjans redet, Esken ist zugegen, aber so erkältet, dass sie keine Stimme mehr hat. Sonst teilen sie sich solche Auftritte gleichwertig auf.

"Sehr besorgniserregend", nennt Walter-Borjans die Lage. Dass die CDU eine neue Chefin, einen neuen Chef bekommt, sei weniger das Problem. Wie sollte sich die SPD auch darüber beklagen nach dem vergangenen Jahr, in dem sie selbst auf der Suche war? "Das kennen wir auch", sagt Walter-Borjans. Bei der CDU beobachtet er jedoch ein größeres Zerwürfnis, sie stehe nach Kramp-Karrenbauers Rückzug vor der Frage, wohin sie sich entwickeln wird. Weiter nach rechts? Das wäre ein Problem für die SPD. Die Vorgänge in Thüringen, wo der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Stimmen von CDU und AfD ins Amt des Ministerpräsidenten gewählt worden war, haben das Vertrauen in den Koalitionspartner erschüttert. Walter-Borjans teilt gegen Kramp-Karrenbauer aus; mit ihr an der Spitze sei die CDU seit "Längerem erkennbar führungslos"; ihr Taktieren habe den "rechten Kräften in der Partei erst den Raum gelassen", in dem sich die akute Krise der CDU aufbauen konnte. Die CDU müsse nun ihr Verhältnis zu den Rechtsextremisten klären.

Die Sozialdemokraten waren trotz langer Suche nach neuen Parteichefs regierungsfähig

Es dürfte schwer für die Sozialdemokraten werden, mit Kramp-Karrenbauer weiterzumachen, solange sie den Parteivorsitz noch innehat. Sie will dessen Übergabe an den Kanzlerkandidaten oder die Kanzlerkandidatin selbst organisieren. Das kann Monate dauern, wenn sie das Verfahren tatsächlich in den Händen behält. Die SPD bringt das in Nöte. "Wir wollen in der Regierung bleiben, wir haben noch viel vor", sagt Generalsekretär Lars Klingbeil und macht unverblümt klar, auf wen er in diesen chaotischen Tagen bei der Union seine Hoffnungen setzt: "In den letzten Tagen haben wir erlebt, dass Frau Merkel das Krisenmanagement betrieben hat."

Aber in der Union ist etwas Grundsätzliches ins Rutschen geraten, das ist allen in der SPD klar. Walter-Borjans betont, das müsse nicht gleich das Ende der Koalition bedeuten. In der Tat hatte die SPD in dem halben Jahr unter kommissarischer Führung bewiesen, dass sie trotz Vorsitzsuche in der großen Koalition regierungsfähig war. Die Grundsatzeinigung zur Grundrente für Geringverdiener fiel beispielsweise in diese Zeit. Die SPD habe gezeigt, dass beides geht: regieren und sich neu sortieren. "Ich würde mir wünschen, dass die CDU das auch kann." Sie müsse verlässlich in ihren Zusagen bleiben.

In den sozialdemokratischen Führungsgremien herrscht Teilnehmern zufolge die Meinung vor: jetzt bloß die Nerven bewahren. Komme, was wolle, die Vorbereitungen für den Wahlkampf haben jedenfalls mit dieser Klausur begonnen. Das immerhin war so geplant.

© SZ vom 11.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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