SPD:Unbehagen quer durch die Ränge

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Warum viele Angst vor einem Kanzlerkandidaten Gabriel haben - und trotzdem niemand den Aufstand wagt.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Über die Frage aller Fragen, so versichern es Teilnehmer am Tag danach, habe man nicht gesprochen. Statt über die K-Frage, habe die engste SPD-Führung am Dienstagabend bei einem vorab publizierten und daher nicht mehr sehr geheimnisvollen Geheimtreffen in Düsseldorf etwa darüber geredet, was eine Agentur über die Bedürfnisse und Erwartungen potenzieller SPD-Wähler herausgefunden hatte. Das nicht allzu überraschende zentrale Thema: Gerechtigkeit. Diesen Wert müsse die SPD glaubwürdig verkörpern.

An diesem Punkt hätte sich durchaus eine Debatte darüber entfalten können, welchem Kandidaten denn diese Glaubwürdigkeit am ehesten zuzutrauen wäre - doch offenbar hielten sich alle Teilnehmer an die Vorgabe, keine Personaldiskussion zu führen. Dabei wird sie andernorts in der Partei durchaus geführt. Und zwar heftig.

Als wahrscheinlichster Kanzlerkandidat gilt derzeit Sigmar Gabriel. Doch die Vorstellung, dass der Parteivorsitzende tatsächlich antreten könnte, löst in weiten Teilen der Partei Sorge aus, bei manchen Genossen sogar geradezu Entsetzen. Kaum jemand redet offen darüber, doch aus vielen Gesprächen mit maßgeblichen Sozialdemokraten in Bund und Ländern ergibt sich derzeit das Bild einer sich anbahnenden Kandidatur, die viele nicht wollen, von der aber die allermeisten nicht mehr glauben, dass sie noch zu verhindern ist. Weshalb niemand sich namentlich äußern will.

Besonders verbreitet ist das Unbehagen in der SPD-Bundestagsfraktion - dort also, wo viele Menschen sitzen, die im Fall eines schlechten Ergebnisses um ihr Mandat fürchten müssen. Die Sorge, dass Gabriel mit seinen schwachen persönlichen Umfragewerten die Partei weiter herunterziehen könnte, ist dort quer durch die Flügel verbreitet. Doch auch hier bleibt es still - abgesehen von Matthias Miersch, dem Sprecher der Parlamentarischen Linken in der Fraktion. "Ich hoffe sehr, dass in der engeren Parteiführung sorgfältig abgewogen wird, welcher Kandidat die besten Chancen hat, und dabei auch demoskopische Erkenntnisse berücksichtigt werden", sagt Miersch der Süddeutschen Zeitung. Damit formuliert er, wenn auch ziemlich vorsichtig, was viele seiner Kollegen denken.

Die Erkenntnisse jedenfalls sind eindeutig: Laut einer von der Bild am Sonntag veröffentlichten Emnid-Umfrage käme der Europapolitiker Martin Schulz im direkten Vergleich mit der Kanzlerin auf 38 Prozent, die es auf 39 Prozent brächte. Bei Gabriel hingegen stünde es 46 zu 27 für Angela Merkel. Vor dem Hintergrund dieser und ähnlicher Befunde kann man Mierschs Forderung nur als Plädoyer für Schulz verstehen. Wobei auch Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz seine Anhänger hat.

Trotz allem hat Gabriel noch mächtige Unterstützer

Warum äußert sich dann niemand? Bei manchen ist es die Angst, in Ungnade zu fallen. Oder die Sorge, als Nestbeschmutzer zu gelten. Und bei vielen Schulz-Anhängern ist es so, dass sie sich allein deshalb nicht für ihn als Kandidaten aussprechen, weil Schulz mehrfach klargemacht hat, dass er nicht gegen Gabriel antreten werde. Immer wieder hat er intern hinterlegt, dass ihn mit Gabriel eine Freundschaft verbinde und er nur für den Fall zur Verfügung stünde, dass Gabriel zurückzöge. Was wiederum die Schulz-Fans frustriert, die lange gehofft hatten, ihr Favorit werde vielleicht noch die Konfrontation suchen.

Ähnlich sieht es bei Scholz aus. Auch dessen Anhänger haben vergeblich auf ein Signal gewartet. Doch Scholz hat als angesehener Bürgermeister viel zu verlieren, außerdem verabscheut er kaum etwas mehr als öffentlich ausgetragene Streitigkeiten. Zudem könnte seine Stunde erst noch kommen, falls Gabriel die Wahl verlieren sollte.

Einige wenige maßgebliche Gabriel-Skeptiker haben sich aus der Deckung gewagt - etwa Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der Mitte Oktober in der Welt ein Loblied auf Schulz sang. Ähnlich positiv ließ sich Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke über Schulz ein. Und der Tagesspiegel berichtete kürzlich, Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel habe Sigmar Gabriel persönlich seine Skepsis dargelegt, ob er der richtige Kanzlerkandidat wäre. Nicht zu vergessen jene interne Sitzung, in der Ende September mehrere niedersächsische Abgeordnete offen Zweifel an Gabriels Eignung äußerten.

Allerdings hat Gabriel auch mächtige Fürsprecher, allen voran die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die sich auf ihn festgelegt hat. Mehrere andere Ministerpräsidenten sind ihrem Beispiel gefolgt. In der Bundestagsfraktion wird darüber geseufzt, dass diese Genossen ja auch nicht im September wiedergewählt werden müssten. Doch auch Johannes Kahrs, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der Fraktion, hat sich mehrfach für Gabriel ausgesprochen.

Dass die Nervosität der Gabriel-Skeptiker derzeit noch einmal zunimmt, liegt auch daran, dass sie lange Zeit gehofft hatten, er werde sich von selbst erledigen. Doch Gabriel stolperte weder über die Landtagswahlen im Frühjahr 2016 noch über das Thema Freihandel. Er überstand die Landtagswahlen im Herbst, umschiffte alle Klippen und muss nun nur noch zugreifen. Manche seiner Gegner bedauern jetzt, dass sie nicht gehandelt haben. Noch in diesem Monat soll der Kandidat präsentiert werden.

© SZ vom 12.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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