SPD:Schulz ohne Effekt

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Hoffnungsträger aus Pappe: vor dem SPD-Parteitag in Dortmund. (Foto: Sascha Schuermann/AFP)

Für einen Augenblick nur war der Herausforderer das, was seine Partei so gerne wäre: eine realistische Alternative. Dann begann der Abstieg.

Von Christoph Hickmann

Aus sozialdemokratischer Sicht mag es absurd klingen, geradezu nach Hohn - und trotzdem nimmt die SPD aus diesem Jahr neben vier Wahlniederlagen (und, siehe Niedersachsen, einem Wahlsieg), neben Zweifel, Hader und Zukunftsangst etwas Wertvolles mit: die Erkenntnis, dass sie noch gebraucht und sogar gewollt werden könnte. Eigentlich.

Es fällt nicht ganz leicht, das nach dem Absturz auf 20,5 Prozent zu erkennen. Und doch lohnt es sich, noch mal ein paar Schritte zurückzutreten und nicht nur in den Blick zu nehmen, wie der Wahlkampf für die Sozialdemokraten endete. Sondern auch, wie er begann: mit einer Euphorie, einem regelrechten Hype um den Kanzlerkandidaten Martin Schulz - und eben mit der offenkundigen Sehnsucht der Wähler nach einer Alternative. Solang die SPD und ihr Kandidat wie eine solche Alternative aussahen, solang flog ihnen die Zustimmung zu. Plötzlich machten sich die Genossen nicht mehr lächerlich, wenn sie verkündeten, demnächst den Kanzler zu stellen. Plötzlich sah es aus, als sei Angela Merkel schlagbar. Dann begann der Abstieg.

Was mit Martin Schulz in diesem Wahljahr geschah, ist in der bundesdeutschen Wahlkampfgeschichte ohne Beispiel. Er übernahm die Rolle des Kanzlerkandidaten, als die SPD bei knapp über 20 Prozent stand, stieg zum sozialdemokratischen Messias auf und landete am Ende bei knapp über 20 Prozent. Was das mit ihm und seinem Gefühlshaushalt machte, war später in der langen Reportage eines Spiegel-Journalisten nachzulesen, dem Schulz im Angesicht des bevorstehenden Sieges für ein halbes Jahr Zugang zu seinem innersten Kreis zugesagt hatte. Bei allen emotionalen Ausschlägen, die dadurch öffentlich wurden, bleibt erstaunlich, dass Schulz an dem Auf und Ab samt innerparteilichen Machtkämpfen nicht zerbrochen ist.

Im Gegensatz zu Vorgänger Peer Steinbrück, der seinen Kritikern kurz vor der Wahl 2013 den Stinkefinger entgegenreckte, wahrte er bis zum Schluss die Form, zumindest einigermaßen und angesichts der Umstände.

Und vielleicht war es genau diese Erkenntnis, aus der Schulz die Kraft zog, auch dann immer weiterzumachen, als sein Satz, er wolle Kanzler werden, längst hohl klang: dass die SPD eben, anders als man nach dieser historischen Niederlage meinen sollte, nicht am Ende ist, kurz vor der Selbstabschaffung oder schlicht überflüssig. Sondern dass sie irgendwann auch mal wieder gewinnen könnte. Womöglich waren es die rauschhaften Wochen zu Beginn des Jahres, von denen Schulz gezehrt hat, als es zum Ende hin immer mühseliger wurde - bis hin zum Wahlabend, als sich alle fragten, ob er die Konsequenz ziehen und den Weg frei machen würde. Stattdessen verkündete er unter dem Jubel der Anhänger, dass die SPD in die Opposition gehen werde und er selbst Vorsitzender bleiben wolle. Das war ein kluger Schachzug, um von eigenen Fehlern abzulenken, aber in strategischer Hinsicht nicht sonderlich geschickt: Denn der Jubel hatte keinen Bestand. Nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen im November musste Schulz dann doch nolens volens Sondierungsgespräche über eine Neuauflage der ungeliebten großen Koalition akzeptieren und einen widerstrebenden Parteitag überzeugen, dass dies doch richtig sein könnte.

Bleibt allerdings die Frage, wie die SPD wieder das verkörpern könnte, was die Wähler offenkundig zu Beginn des Jahres 2017 in ihr gesehen haben, zumindest kurzzeitig: eine Alternative. Doch auch da standen die Genossen, wie in den Umfragen, am Ende des Jahres ungefähr so da wie zu seinem Beginn: ohne wirkliche Idee.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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