SPD:Sand im Getriebe

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Beim Neustart in die Opposition setzt die SPD mit Andrea Nahles' Wahl an die Fraktionsspitze ein einmütiges Zeichen. Umstritten ist aber die Geschäftsführer-Personalie. Auch sonst scheint es hinter den Kulissen zu gären.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Kurz vor ihrer Wahl zur Fraktionsvorsitzenden wird Andrea Nahles von Martin Schulz begrüßt. Er selbst hatte sie für das Amt empfohlen. (Foto: John Macdougall/AFP)

Andrea Nahles hat zuweilen eine recht plastische Art, die Dinge auszudrücken, was sie am Mittwoch mal wieder unter Beweis stellt. Da hält sie in der Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion ihre Antrittsrede und erzählt, dass sie am Morgen in ihrer letzten Kabinettssitzung auch Entwicklungsminister Gerd Müller getroffen habe. Dem habe sie gesagt, dass sie sich jetzt noch einen Moment Wehmut erlaube - "aber ab morgen kriegt ihr in die Fresse". Die Abgeordneten johlen begeistert.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat jetzt erstmals eine Chefin, mit 90 Prozent wird Nahles, 47, bislang Arbeitsministerin, am Mittwoch gewählt. Und sie lässt in ihrer Rede keinen Zweifel daran, wo aus ihrer Sicht künftig das Kraft- und Machtzentrum der SPD liegen dürfte: in der Fraktion. Selbst solche Teilnehmer, die der einstigen Parteilinken eher skeptisch gegenüberstehen, sind hinterher positiv überrascht.

Nahles redet nicht nur über soziale Gerechtigkeit, sondern auch über Polizei und innere Sicherheit. Als sie später draußen von der Presse gefragt wird, an welchem ihrer Vorgänger sie sich orientieren möchte, da nennt sie Peter Struck, den knorrigen Zuchtmeister. Der sei ihr erster Fraktionschef gewesen und habe sie am meisten geprägt. Struck habe "das Parlament ernst genommen, die Parlamentarier ernst genommen" und "für Disziplin gesorgt".

Dass die junge Andrea Nahles einst zu denjenigen gehörte, um deren Disziplin sich Struck hin und wieder besonders intensiv kümmern musste, sagt sie an diesem Tag nicht. Doch mancher ältergediente Genosse nimmt die Struck-Reminiszenz zwar wohlwollend, aber durchaus amüsiert zur Kenntnis. "Wenn der Peter das noch hätte hören können", sagt einer grinsend. Auch der bisherige Fraktionschef Thomas Oppermann hatte ausschließlich positive Worte für Nahles übrig: Ihr Ergebnis sei "ein kraftvoller Start in die Opposition". Zu seiner guten Laune könnte beigetragen haben, dass er offenbar als Bundestagsvizepräsident im Gespräch ist.

Wird nun also alles gut in der SPD? Da kann man sich noch lange nicht sicher sein, schließlich sind an der Parteispitze unterhalb der viel beschworenen äußeren Geschlossenheit nach wie vor Misstrauen und Unmut zu spüren. Das lässt sich etwa am Ergebnis von Carsten Schneider ablesen, der am Mittwoch zum Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer, kurz PGF, gewählt wird. Er bekommt lediglich 77 Prozent, von 152 Abgeordneten stimmen 22 mit Nein, während sich 13 enthalten. Zwar erklärt Nahles hinterher, dass es sich dabei um ein "sehr stabiles Ergebnis" handele - doch jeder weiß, dass in Schneiders Resultat der Unmut über die Genese dieser Personalie zum Ausdruck kommt.

Der konservative Seeheimer Kreis hatte Schneider anstelle von Generalsekretär Hubertus Heil durchgesetzt. Parteichef Martin Schulz, der intern ein Tableau aus Nahles und Heil vorgeschlagen hatte, musste sich beugen. Der Unmut darüber war groß. SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan, einer von Schulz' engeren Weggefährten, schrie am Dienstag in der Sitzung der engsten Fraktionsführung seine Empörung regelrecht heraus. Zwar nannte er keinen Namen, doch zielte der sonst als friedlich bekannte Nietan, da waren sich alle Teilnehmer einig, klar auf den Seeheimer-Chef Johannes Kahrs. Mancher wollte gar die Androhung einer Revanche aus der Wutrede herausgehört haben.

Apropos Weggefährten: Ein weiterer von Schulz' Gefolgsleuten, der Abgeordnete Achim Post, hat in den vergangenen Tagen auffallend deutlich seine Unzufriedenheit dokumentiert. Der Chef der mächtigen nordrhein-westfälischen Landesgruppe kritisierte intern wie öffentlich die frühe Verteilung der Spitzenposten und bezeichnete das SPD-Wahlergebnis, als "dramatische Kernschmelze", mit der man sich auseinandersetzen müsse. Am Mittwoch nahm mancher aufmerksam zur Kenntnis, dass Post während der Fraktionssitzung länger mit Wirtschafts-Staatssekretär Matthias Machnig sprach, einem Vertrauten von Außenminister Sigmar Gabriel.

Gabriel saß derweil im Gegensatz zu den anderen Noch-Ministern nicht vorn bei der Fraktionsspitze, sondern unter den Abgeordneten. Es war eine ähnliche Szenerie wie am Montag im Parteivorstand. Dort hatte er viel in der Nähe des Buffets gestanden und Einzelgespräche mit denjenigen geführt, die sich etwas zu essen holten. Zahlreiche Genossen beobachteten das argwöhnisch. Viele trauen Gabriel, einem alten Nahles-Widersacher, nach wie vor zu, den Neuanfang zu erschweren.

Und Schulz selbst? Er müsse jetzt mal ein paar Tage durchatmen, hieß es am Mittwoch. Und dann geht es ja auch schon in Niedersachsen weiter, wo in zweieinhalb Wochen der Landtag gewählt wird. Vom Ergebnis könnte auch für den Parteivorsitzenden einiges abhängen.

© SZ vom 28.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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